Auf Dunklen Schwingen Drachen1
Wangen.
Gelbgesichts riesige Augen gaben mich frei und durchbohrten mit ihrem Blick statt meiner jetzt Mutter.
»Weil du Djimbi bist«, stellte Gelbgesicht fest.
Der Wind rauschte durch die Wipfel der Bäume, und der säuerliche, berauschende Duft von Zitronenfarn brannte wie Chilisaft in meinen Augen.
»Ja«, flüsterte ich in das lauernde, wartende Schweigen. »Ja. Sie ist Djimbi.«
14
S o begann mein Leben in Tieron Nask Cinai, dem Drachenkonvent Tieron. Er lag verborgen im Dschungel, auf einem felsigen Hügel, umringt von trockenen Rhododendren und Blätterborkenbäumen, und war kaum mehr als eine armselige Mühle, die sich an einen großen moosigen Rundbau schmiegte, überschattet von gewaltigen Kalksteinfelsen dahinter. Ein schmaler Wasserfall stürzte sich von dieser Klippe herab, trieb das Mühlrad an und versorgte die Onai, die heiligen Frauen und ihre Mündel, mit Wasser. Rote und purpurne Macaws siedelten in der Felswand, nährten sich von ihren Salzen und Mineralien.
Mit dem Prasseln des Wasserfalls, dem Kreischen der Macaws, dem Rumpeln und Knarren des Mühlrades und dem Schaben des Mühlsteins war der Konvent ein recht lauter Ort. Die Onai konnten sich nur schreiend unterhalten.
»Du wirst morgen eingeführt«, blaffte Gelbgesicht mich an. Wir standen auf dem zitternden Dachboden der Mühle. Das Vibrieren des sich langsam drehenden Mühlrades ging durch die Bodenbretter direkt in meine Beine und ließ meine Zähne klappern. Ich presste sie zusammen, um dieses enervierende Gefühl loszuwerden, aber das machte es nur noch schlimmer.
Ich starrte verblüfft die Onai an, die auf dem Boden um uns herum lagen und schliefen. Wie schafften sie das bei diesem Krach?
Doch selbst Mutter schlief. Der Marsch zum Konvent nach der Nacht an dem Steinhügel hätte sie fast umgebracht. Zwei Onai hatten schließlich eine improvisierte Trage aus Bambus und Lianen angefertigt, auf die sie Mutter gelegt und sie dann zum Konvent getragen hatten. Es war für uns alle ein anstrengender Marsch gewesen. Wir hatten Mutter und die Säcke mit Featon-Korn tragen müssen und dazu die Fässer mit Öl und Maska über den überwucherten Pfad gerollt.
Ich war jedoch viel zu aufgewühlt, um schlafen zu können. Außerdem war es erst kurz nach Mittag.
»Bis du eingeführt wirst, entferne dich nicht. Das gilt für euch beide, verstanden?«, schrie Gelbgesicht. »Und benutzt das, falls nötig.« Sie deutete auf einen emaillierten Nachttopf.
Ich nickte wie betäubt.
Gelbgesicht ging über den Dachboden und wich dabei den schlafenden Onai mit ebenso viel Sorgfalt aus, wie sie Steinen gegenüber an den Tag gelegt hätte. Mit einem Blick, der eindeutig ihren Befehl, mich nicht vom Fleck zu rühren, wiederholte, stieg sie die Treppe hinab und verschwand.
Ich zählte die schlafenden Onai. Es waren zwölf Frauen. Dann zählte ich die Moskitonetze, die zu den Dachbalken hinaufgezogen waren: Sieben. Ich zählte die Säcke, Fässer, Essensnäpfe, Webstühle und grob gezimmerten Kisten, die am Rand des Raumes aufgebaut waren. Dann spähte ich durch ein Loch in den Bodendielen und beobachtete ein großes hölzernes Zahnrad, das sich immerzu drehte. Ich benutzte den Nachttopf. Schließlich konnte ich nicht mehr länger still sitzen, schlich auf Zehenspitzen zur Treppe, stieg ein paar Stufen hinab und blickte suchend in den Mühlraum.
Ich sah dieselbe Szene, die ich schon bei meiner Ankunft im Konvent Tieron erlebt hatte: Eine Klauevoll Onai, diesen heiligen Frauen, die für ausgemusterte Drachenbullen verantwortlich sind, zerrten mit vom Pflanzensaft grün gefärbten Händen Garbe um Garbe von Schlingpflanzen und Lianen von draußen in die Mühle. Dann schoben sie die Garben zwischen die langsam mahlenden Mühlsteine.
Am Rand meines Blickfeldes rührten zwei weitere Onai den produzierten grünen Brei mit großen Paddeln um und schaufelten ihn in Fässer. Ich beobachtete, wie drei Fässer gefüllt, verschlossen und aus der Mühle gerollt wurden, bevor mir langweilig wurde.
Danach schlenderte ich über den Dachboden, auf der Suche nach einem Loch in dem mit Lehm beworfenen Flechtwerk der Wände, um einen Blick auf die Umgebung der Mühle zu erhaschen. Doch die Wände waren dicht, obwohl sie zahllose Flickstellen aufwiesen, vollgestaubt und mit grünem Saft verschmiert waren.
Zu schade. Ich hätte gern den großen moosigen Rundbau untersucht, der sich an die Mühle anschloss. Lebten dort die Onai, unter den zugigen Bögen, den
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