Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
Ihr Angebot gern annehmen und sie mir ansehen. Heute Nachmittag habe ich leider keine Zeit, doch könnte ich morgen kommen?“
So bald schon?
„Morgen?“, stieß sie hervor. Sie hatte frühestens in einer Woche mit dem Besuch eines Gutachters gerechnet. Wie hätte sie auch ahnen sollen, dass gerade einer durch Dunscroft spazierte? War das ein Zufall?
Das Anwesen war nicht bereit für Männerbesuch – noch dazu von einem Londoner. Einem Aristokraten! Die Mädchen würden darauf vorbereitet werden müssen. Wenn Lord Nicholas kam, mussten sie in Bestform sein, ihr Verhalten tadellos und diskret. „Morgen …“, wiederholte sie, um Zeit zu schinden.
Wie könnte sie seinen Besuch hinauszögern?
„Spätestens. Wobei …“, fügte er hinzu und sah hinüber zum Gasthof. „Da kommt mein Begleiter mit unseren Pferden. Je nachdem, wie lange wir heute unterwegs sind, könnten wir auch schon diesen Nachmittag kommen.“
Diesen Nachmittag .
Sie drehte sich um und sah einen stattlichen Mann, der einen Rappen und einen Grauen am Zügel führte. Erstaunt starrte sie ihn an. Er war gut sechs Zoll größer und um einiges breiter als der Hufschmied des Dorfes, und das wollte etwas heißen. Noch nie hatte sie einen derart imposanten Mann gesehen.
Sie sollte schleunigst nach Hause. Die Mädchen mussten gewarnt werden.
„Mylord …“, begann Isabel ausweichend, wieder an St. John gewandt. „Ich … ich bin mir sicher, dass Sie Besseres mit Ihrem Nachmittag anzufangen wissen, als sich meine Skulpturen anzusehen. Wahrscheinlich hatten Sie schon Pläne, ehe ich …“
„Ehe Sie uns beide um ein Haar umgebracht hätten, ganz genau“, schloss er. „Aber wie der Zufall es so will, haben wir gerade nichts Besseres zu tun. Eigentlich hatten wir vor, ein wenig auszureiten, der Langeweile zu entfliehen, wenn Sie so wollen, aber da Sie mir gerade genug Aufregung für heute beschert haben, könnte ich auf weitere Abenteuer verzichten und mir ebenso gut Ihre Skulpturen ansehen.“ Er hielt inne, als er ihren bangen Blick bemerkte. „Sie fürchten sich doch nicht etwa vor Rock? Er ist zahm wie ein Kätzchen.“
„Nein, natürlich nicht“, sagte Isabel eine Spur zu schnell. „Ich bin mir sicher, dass Mr Rock der perfekte Gentleman ist.“
„Wunderbar, dann wäre das ja geklärt.“
„Was wäre geklärt?“
„Dass wir heute Nachmittag nach Townsend Park kommen – spätestens morgen. Ich lasse Sie übrigens nur ungern allein nach Hause gehen. Mir wäre es lieber, es wäre jemand dabei, um Sie vor galoppierenden Pferden zu retten, wenn Sie in Gedanken wieder anderswo sind.“
Sie errötete. „Nun übertreiben Sie, Sir. Ich hätte das schon rechtzeitig bemerkt.“
Seine Miene wurde ernst. „Nein, Lady Isabel, das hätten Sie nicht. Wäre ich nicht gewesen, wären Sie jetzt tot.“
„Unsinn.“
Er kniff die Augen leicht zusammen und sah sie an. „Sie machen gern Schwierigkeiten, was?“
„Aber nein!“, entrüstete sie sich. „Zumindest nicht mehr als andere Damen.“
„Die meisten Damen hätten sich mittlerweile wohl dafür bedankt, dass man ihnen das Leben gerettet hat.“
„Ich …“, sie hielt inne und wusste nicht weiter. Nahm er sie etwa auf den Arm?
„Nein, nein“, kam er ihr zuvor. „Sagen Sie jetzt nichts. Ich will Sie nicht zur Dankbarkeit nötigen.“
Natürlich nahm er sie auf den Arm .
Er neigte sich zu ihr. „Sie können sich gern ein andermal bedanken.“
Wie dreist!
Ehe sie darauf etwas erwidern konnte, hatte er sich nach seinem Freund umgedreht und die Zügel des großen Grauen genommen. Wieder an sie gewandt, sagte er: „Lady Isabel, dürfte ich Ihnen Durukhan, meinen Freund und treuen Gefährten vorstellen?“
Aus nächster Nähe betrachtet, war der Mann wirklich riesig, fast so groß wie der schwarze Hengst an seiner Seite. Isabel gab ihm die Hand, und er bot ihr eine formvollendete Verneigung.
„Mr Durukhan“, sagte sie. „Es ist mir ein Vergnügen.“
Er richtete sich wieder auf und betrachtete sie mit unverhohlener Neugier. „Das Vergnügen ist ganz meinerseits.“
Plötzlich hatte sie das Gefühl, ihm die Situation erklären zu müssen. „Lord Nicholas … er war so gütig, mich … aus dem Weg zu stoßen, als …“, stammelte sie und deutete in die Richtung, in die der Lastkarren verschwunden war. „Sie wissen schon, die Pferde“, schloss sie und errötete heftig.
„So, so, hat er das?“ Die beiden Männer tauschten einen Blick, den sie nicht zu deuten
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