Aufstand der Alten
Und auch noch der beste?«
»Mmmm, ja, aber das ist ein sehr subjektives Urteil. Wie wollen wir feiern?«
»Weil der Abend schön ist, dachte ich, daß dir eine kleine Segelfahrt mit dem Dingi gefallen würde.«
»Aber Algy, hast du denn noch nicht genug von dem Dingi? Ja, natürlich würde ich gern segeln, wenn du es möchtest.«
Er streichelte ihr die Haare und blickte in ihr liebes, faltiges Gesicht. Dann zog er die linke Hand aus der Tasche und zeigte ihr den prall gefüllten ledernen Geldbeutel. Sie starrte ihn an. »Wo hast du das her, Algy?«
»Martha, ich habe den letzten Tag Schilf geschnitten. Ich bin die letzten eineinhalb Jahre verrückt gewesen, mein Leben mit dieser Sklavenarbeit zu vergeuden. Und wozu? Um diesen verdammten überflüssigen Wagen auszulösen, der in der Kathedrale steht. Ich habe mein Geld vom Quästor geholt, die ganzen Ersparnisse. Wir sind frei. Wir können gehen und diesem Schutthaufen den Rücken kehren!«
»Oh, Algy, du ... Algy, ich bin hier glücklich gewesen. Du weißt, daß ich glücklich war. Wir haben ein ruhiges, stilles Leben zusammen geführt. Dies ist unsere Heimat.«
»Aber nun werden wir weiterziehen. Wir sind noch jung, nicht wahr, Martha? Sag mir, daß wir noch jung sind! Laß uns nicht hier verrotten. Laß uns unseren alten Plan ausführen und den Fluß weiter abwärts segeln, bis wir die Mündung und das saubere, frische Meer erreichen. Möchtest du das nicht? Und du kannst doch, oder nicht?«
Sie schaute an ihm vorbei zu den roten Ziegeldächern und in den blauen Abendhimmel über den Dächern. Schließlich sagte sie mit Grabesstimme: »Das ist der Traum in deinem Herzen, nicht wahr, Algy?«
»Schatz, du weißt es, und auch dir wird es gefallen. Dieser Ort ist wie eine materialistische Falle. Am Meer wird es andere Gemeinschaften geben, denen wir uns anschließen können. Dort wird alles anders sein ... Weine nicht, Martha, nicht weinen, mein Kleines ...«
Es war fast dunkel, als sie ihre Habseligkeiten gepackt hatten und zum letztenmal durch das hohe Tor des Colleges gingen, dem Boot und dem Fluß und dem Unbekannten entgegen.
5
Zu ihrem Erstaunen spürte Martha etwas wie Erleichterung und Beglückung, als sie wieder die Freiheit der weiten Flußlandschaft um sich sah. Sie saß im Dingi, die Hände um die Knie geschlungen, und gab Graubarts Lächeln zurück. Sein Entschluß zur Fortsetzung der Reise war weniger spontan, als er es hinstellte: Das Boot war gut mit Proviant ausgestattet und mit einem neuen Segel versehen. Daß auch Charley Samuels mitgekommen war, erfüllte Martha mit tiefer Freude, die Zeit in Oxford hatte ihn merklich altern lassen. Seine Wangen waren eingesunken und bleich wie altes Stroh. Isaac war vor einigen Monaten gestorben, aber Charley war verläßlich wie immer. Von Jeff Pitt hatten sie sich nicht verabschieden können; vor einer Woche war er in den wässerigen Labyrinthen der Schilfdickichte untergetaucht, und seitdem hatte ihn niemand gesehen; ob er dort gestorben oder weitergezogen war, um neue Jagdgefilde aufzusuchen, blieb ein Geheimnis.
Graubart pfiff leise vor sich hin, während das Boot flußabwärts glitt. Er konnte die Häuserblocks sehen, wo er und Martha in Crouchers Tagen eine Wohnung gehabt hatten. Seine Stimmung war jetzt völlig anders als damals, so anders, daß es ihm schwerfiel, sich an die Person zu erinnern, die er in jenen sorgenvollen Tagen gewesen war. Seinem Herzen viel näher und klarer in der Erinnerung war der kleine Junge des Jahres 1982, der sich an den sonnigen Ufern der Themse getummelt hatte. Nun führte ihn die neue Freiheit zurück zu jener alten Freiheit der Kindheit.
Aber es war nur seine Erinnerung, die jene Zeit als Freiheit hinstellte. Das Kind war weniger frei gewesen als der sonnenverbrannte Mann mit dem kahlen Kopf und dem grauen Bart, der mit seiner Frau im Boot saß. Das Kind war ein Gefangener gewesen, ein Gefangener seiner Schwäche und Unwissenheit, der Launen seiner Eltern und des ungeheuerlichen Schicksals, dessen Ausmaß und Endgültigkeit die Menschheit noch nicht begriffen hatte. Das Kind hatte noch einen langen Weg der Sorgen, der Verwirrungen und des Kampfes vor sich. Warum konnte der Mann dann aus der Perspektive von neunundvierzig Jahren zurückblicken und diesen kleinen, von den Ereignissen herumgestoßenen Jungen mit Emotionen betrachten, die eher Neid als Mitleid waren?
Als der Wagen hielt, rollte Jock Bear, der Teddybär im Schottenpyjama, von der
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