Augenblicklich ewig
von der Kunst«, sagte der alte Herr, als hätte er Sams Gedanken erahnt, »aber ich hoffe für dich, du hast Erfolg damit. Wir können alle ein paar schöne Bilder gebrauchen, dieser Tage.« Daraufhin widmete er sich wieder seiner Morgenlektüre.
»Danke, Onkel.« Sam nickte und trank seinen Kaffee. Seinem Onkel hatte die Wirtschaftskrise im letzten Jahr schwer zugesetzt. Nun waren die gröbsten Probleme ausgestanden, aber sie ahnten beide, es konnte noch schlimmer kommen und dass die letzte Krise womöglich nur ein Vorgeschmack auf eine viel größere war. Sam kam viel in der Stadt herum und sah neben den Reichen und Schönen auch die vielen Armen, die von der Krise schwer gebeutelt worden und nicht mit einem blauen Auge davon gekommen waren wie sein Onkel. Sie waren in die Armut gerutscht oder gar obdachlos geworden. Sams Gedanken schweiften zu Polly. Sie hatte Glück, eine der begehrten Mietwohnungen ergattert zu haben. Kein Wunder, dass sie zwei Arbeitsstellen hatte. Die Miete musste horrend sein. Sam selbst hätte sich ohne weiteres eine der neuen Etagenwohnungen leisten können. Er zog es jedoch vor, bei seinem Onkel zu bleiben. Er hatte bereits früh sein Zuhause und seine Eltern verloren und dieses Haus war ihm so ans Herz gewachsen, er konnte sich kaum vorstellen, es zu verlassen. Außerdem wollte er seinen Onkel nicht allein zurücklassen.
Sein Onkel stand auf, legte seine gefaltete Stoffserviette neben seinen Teller und nickte Sam zu.
»Dann wollen wir mal.«
»Ich wünsche dir einen erfolgreichen Tag, Onkel.«
»Dir ebenfalls, mein Junge.«
Als der Mann das Zimmer verlassen hatte, widmete Sam sich den Resten seines Frühstücks. Er hatte heute nur einen Auftrag am Nachmittag. Er sollte die Tochter eines Fabrikanten fotografieren.
Sam war froh, durch seinen Onkel einen Wagen zur Verfügung zu haben. Seine Ausrüstung war schwer und der Weg zu seinem Auftraggeber lang. Inklusive Stativ und einer Stehlampe hatte er einiges zu schleppen. Er bedauerte, mit seiner neuen Planfilmkamera nicht das gewünschte Bildformat zustande zu bringen. Mit ihr hätte er ohne großes Gepäck zu seinem Auftrag fahren können. Aber die Bilder der Kleinbildkamera waren in der Vergrößerung qualitativ kein Vergleich zu denen seiner großen Kamera.
Das Haus des Fabrikanten war riesig. Sam betrachtete es staunend. Soweit er wusste, hatte der Mann sein Geld im letzten Krieg mit Munition verdient. Er selbst hielt nichts von Gewalt und schon gar nichts von Kriegen um Land oder Güter, aber er verurteilte keinen Mann dafür, wie er seine Familie ernährte. Sam wurde vom Dienstmädchen durch die große Eingangshalle in einen kleineren Salon geführt. Er legte sein Sakko auf einen Stuhl und war froh, sich seines Hutes entledigen zu können. Sam krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch. Er mochte keine förmliche Kleidung, aber was die Etikette gebot, das hatte er gelernt zu akzeptieren. Einen Freigeist in leichten Hosen und ohne Hut wollte heutzutage niemand sehen, klang die Stimme seines Onkels in seinen Ohren. Vor dem imposanten Kamin hatte man bereits einen kleinen Sessel - wohl für das Fotomodell - gestellt. Während das Dienstmädchen seine Ankunft ankündigte, machte Sam sich daran, seine Ausrüstung aufzubauen und das Licht möglichst günstig zu positionieren. Im Sommer fotografierte er viel lieber im Freien, allein des Lichtes wegen, aber das Arrangement hier ließ keinen Zweifel darüber, wo die Tochter des Hauses platziert werden wollte.
Das Dienstmädchen öffnete erneut die Tür und kündigte ihm die Ankunft der Hausherrin und ihrer Tochter an. Natürlich würden die Herrschaften ihn niemals mit ihrer Tochter allein in einem Raum lassen. Dennoch ärgerte er sich über das mangelnde Vertrauen. Er war ein Profi, kein Mitgiftjäger.
»Guten Tag«, begrüßte ihn die Frau seines Auftraggebers. Sie war elegant gekleidet, trug ein teures Kostüm und wirkte sehr aristokratisch auf Sam.
Er nickte. »Gnädige Frau.«
Die Dame schob ihre Tochter in Sams Richtung. »Los, meine Liebe, begrüße unseren Gast.«
Diese blickte errötend zu Boden und sprach kaum hörbar. »Guten Tag, mein Herr.«
Sam lächelte aufmunternd. »Schön, Sie kennenzulernen, junges Fräulein.« Er setzte die junge Dame unter den wachsamen Augen ihrer Mutter möglichst vorteilhaft auf den Sessel und schoss einige Bilder und ein paar weitere in einer anderen Position. Sie war jünger, als er angenommen hatte, höchstens sechzehn Jahre alt. Sie war
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