Ausersehen
Menschenarmee losschicken. Wir werden Laragon morgen Abend angreifen.“
Ich wollte ihm sagen, dass er vorsichtig sein soll, aber gerade in dem Moment bogen wir um eine Flussbiegung und wurden mit enthusiastischen Schreien begrüßt. Eine Gruppe junger Mädchen stand am anderen Ufer und jubelte uns zu. Der Tempel der Musen hinter ihnen wurde von der untergehenden Sonne angestrahlt. Die Zentauren begannen ebenfalls zu rufen und zu winken. ClanFintan rief einen Befehl, und die gesamte Armee fiel synchron in gestreckten Galopp.
Das hätte ein durchaus aufregendes Erlebnis sein können, hätte ich nicht gesehen, dass wir direkt auf eine zerbrechlich aussehende Hängebrücke zusteuerten, die offensichtlich der einzige Weg war, um das tosende Wasser zu überqueren.
„Oh, verdammt“, sagte ich.
ClanFintan rief mir über die Schreie der uns willkommen heißenden Frauen zu: „Schließ die Augen und halte dich fest! Du weißt, dass ich dich niemals fallen lassen würde.“
Ich kniff die Augen zu und drückte mein Gesicht in sein dichtes Haar, wobei ich vor mich hin murmelte: „Großartig, das heißt, dass wir beide zu Tode stürzen, wenn die verdammte Brücke bricht.“
Ich konnte spüren, wie seine Schultern unter seinem Lachen zitterten, während er den ersten Huf auf die Brücke setzte.
„Ich hoffe nur, dass ich mich nicht übergeben muss.“
„Wenn doch, dann dreh den Kopf zur Seite. Und erinnere dich, sie sind auch gekommen, um dich zu begrüßen.“
„Ohhhh!“ Ich fühlte, wie die Brücke in der Brise und unter dem Gewicht der uns folgenden Zentauren schwankte.
„Hättest du nicht diesen Augenblick wählen können, um mich auf eine meiner Seelenreisen zu schicken?“, fragte ich meine Göttin.
Vertrau ihm, Geliebte. Er wird dich niemals fallen lassen, schwebte es durch meinen Kopf, aber ich schwöre, dass die Worte von göttinnengleichem Gelächter begleitet wurden.
13. KAPITEL
Vom Boden aus betrachtet war der Tempel der Musen noch beeindruckender. Wir folgten einem mit Blüten bestreuten Pfad zum Hauptgebäude, wo einige der hübschen jungen Frauen die Armee in zwei Gruppen aufteilten und die Ankömmlinge unter viel menschlichem Gekicher und zentaurischem Lachen zu ihren jeweiligen Quartieren führten. Thalia stand auf der Treppe zum Eingang, um uns zu begrüßen. Sie trug eine lange, silberfarbene Robe, die glitzerte, als wäre sie mit Tausenden kleinen Brillanten besetzt. Ihr dickes, honigblondes Haar war zu Zöpfen geflochten, die ihr über den Rücken bis fast zur Taille hingen und mit Gardenienblüten geschmückt waren. Das verblassende Zwielicht verbarg ihre blinden Augen im Schatten.
„Noch einmal herzlich willkommen, Eponas Auserwählte.“ Sie lächelte uns warm an. „Und Schamane ClanFintan, es ist uns wie immer eine Freude, Sie hier begrüßen zu dürfen.“
„Thalia …“ ClanFintan trat vor und führte die dargebotene Hand kurz an seine Lippen. „Du wirst einfach nicht älter.“
Ihr Lachen war ansteckend. „Spar dir deine Schmeicheleien für deine Frau auf“, sagte sie mit offensichtlicher Zuneigung. Dann wandte sie sich mir zu. „Lady Rhiannon, ich habe lange darauf gewartet, Sie einmal hier empfangen zu dürfen.“
Ich hatte das verstörende Gefühl, dass sie genau wusste, wer ich war. Einem Impuls folgend, glitt ich von ClanFintans Rücken, nahm ihre Hand und drückte sie sanft.
„Danke. Ich freue mich auch, Sie kennenzulernen. Und nennt mich bitte Rhea.“ Aus der Nähe konnte ich sehen, dass ihr Gesicht von kleinen Lachfalten und winzigen Runzeln durchzogen war, die verrieten, dass sie nicht so jung war, wie sie wirkte.
Sie erwiderte meinen Händedruck. „Gern, Rhea. Ich bin Thalia. Kommt, unsere Mädchen werden euch eure Gemächer zeigen. Nachdem ihr euch etwas frisch gemacht habt, würden wir euch gern auf dem Fest begrüßen, das wir zu euren Ehren vorbereitet haben.“
Sie drehte sich um, und ihre Robe bewegte sich in schimmernden Wellen, während sie grazil und selbstbewusst uns voran die Treppe zur offenen Tempeltür emporstieg. Nur das Klacken des Elfenbeinstabes auf den Stufen verriet, dass sie blind war.
Sie sieht mehr als die meisten, Geliebte. Die Worte in meinem Kopf überraschten mich nicht.
Wir wurden durch prunkvolle Flure geführt, die Eponas Tempel nahezu bescheiden aussehen ließen. Die Decken waren unglaublich hoch und mit Stuckbildern verziert, die lebendige Szenen aus dem Leben der Priesterinnen und ihrer Schülerinnen darstellten. Ich war
Weitere Kostenlose Bücher