Ausflug ins Gruene
Liebe zu den Vierbeinern neu entdeckt hatte.
»Seitdem wir unsern Wölfi haben«, fuhr meine Wirtin fort, »kommen wir auch wieder viel mehr an die frische Luft.«
»Apropos frische Luft«, warf ich ein, »ich möchte gerne noch ein bißchen joggen. Können Sie mir eine Strecke empfehlen?«
Ich hatte wirklich Lust bekommen, mich zu bewegen. Und außerdem war wieder einmal der Ehrgeiz in mir entstanden, etwas für meinen Körper zu tun – vor allem für meine Problemzonen. Frau Dreisam stellte mir zunächst eine Grundsatzfrage. »Möchten Sie lieber in den wilden Wald oder in den aufgeräumten?« Ich verstand nicht recht. Wild oder aufgeräumt? Ich entschied mich natürlich für den wilden Wald. Das hat ja schließlich auch was mit dem entsprechenden Männerbild zu tun. Natürlich sehe ich mich mehr als Robert Redford denn als Klaus Maria Brandauer. Frau Dreisam beschrieb mir daraufhin mehrere Strecken. Als ihr Mann noch hinzukam, um sie in ihren Ausführungen zu verbessern, verstand ich überhaupt nichts mehr. Während sie mir noch diverse Wegbeschreibungen zu geben versuchten, hatte ich in Gedanken schon beschlossen, einfach drauflos zu laufen. Ich legte mich zunächst noch ein Stündchen mit einem Buch aufs Bett und machte mich um fünf Uhr endlich auf die Socken. Den Weg zum Wald fand ich ziemlich schnell. Zunächst Richtung Krankenhaus, dann noch einen äußerst steilen Berg hinauf und in den Wald hinein, in den wilden Wald. Ich war ganz begeistert von meiner körperlichen Verfassung. Nachdem ich nun lange Zeit mit dem Laufen geschludert hatte, hatte ich befürchtet, schon nach fünf Minuten aus der Puste zu sein. Doch es ging überraschend gut. In mir stieg die Hoffnung, daß ich eine ganze Stunde durchhalten würde, wie damals, als ich noch regelmäßig mit Robert um den Decksteiner Weiher gelaufen war. Im Wald merkte ich allerdings die sauerländischen Steigungen ganz deutlich. Ich mußte mein Tempo immer wieder verlangsamen, um nicht ganz ins Gehen zu verfallen. Dennoch – ich war wirklich zufrieden. Ich wollte eine halbe Stunde in den Wald hineinlaufen, um anschließend dieselbe Strecke zurückzunehmen. Kurz nach halb sechs drehte ich daher um und machte mich auf den Rückweg. Das Desaster begann schon an der zweiten Weggabelung. Plötzlich wußte ich nicht mehr, aus welcher Richtung ich gekommen war. Von links oder geradeaus? Ich entschied mich für links, war mir aber schon nach kurzer Zeit wieder unsicher. Ich kehrte um, und hatte an der nächsten Weggabelung dann völlig die Orientierung verloren. War ich nicht eben an einer Menge gefällter Bäume vorbeigekommen? Die waren nirgendwo zu finden. Zu allem Überfluß machte ich plötzlich schlapp und mußte gehen. Als ich wieder zu laufen begann, stellten sich heftige Seitenstiche ein. Inzwischen war es längst sechs Uhr und im Wald wurde es von Minute zu Minute düsterer. Um diese Zeit hatte ich eigentlich schon in meinem Zimmer sein wollen. Ich versuchte mich zu konzentrieren und meine Strecke zu suchen. Mal hatte ich das Gefühl, ich war richtig, dann kam ich an einer Stelle vorbei, die ich vorher sicher noch nicht passiert hatte. Es war zum Verzweifeln. Die Zeit verrann, und ich hatte das Gefühl, ständig im Kreis zu laufen. Zudem kam mir auch nicht eine einzige Person entgegen. Ich sah mich bereits in einem sauerländischen Zauberwald, der bevorzugt Nicht-Einheimische verschluckt. Es wurde halb sieben, es wurde sieben, und im Wald war es mittlerweile richtig dunkel. Jetzt konnte ich auch den wilden Wald so richtig genießen. Ich stolperte ständig über liegen gebliebene Äste, trat in Erdlöcher oder fiel Wurzeln zum Opfer, die aus dem Boden ragten. Von im Weg hängenden Zweigen, die mir mehr und mehr das Gesicht zerkratzten, ganz zu schweigen. Ich verfluchte inzwischen meine Idee, mich allein in den Wald zu wagen. Ich verfluchte meine Uhr, die immer weiterraste. Ich verfluchte mich selbst, weil ich die Kondition eines verwöhnten Schoßhundes hatte und weil ich nicht auf die vielen Rundwegschilder geachtet hatte, die die Stadtverwaltung für Trottel wie mich angelegt hatte. Kurz vor halb acht hörte ich plötzlich Straßengeräusche in der Nähe; ich befand mich also am Waldrand. Voller Hoffnung stolperte ich weiter, bis ich endlich an der Straße anlangte. Leider war nicht ersichtlich, wohin sie führte, aber ich lief in die Richtung, wo ich in einiger Entfernung eine Häusersiedlung entdeckt hatte. Ich schöpfte nicht nur Hoffnung, sondern
Weitere Kostenlose Bücher