Ausflug ins Gruene
Wohnung gefunden? Haben Sie sich gut eingelebt?« Ich bekam kaum Zeit für eine Antwort, da Wulfhilde sich jetzt Herrn Sondermann zuwandte, der sich in eine Ecke des großen Raumes verkrümelt hatte.
»Herr Sondermann, wenn Sie so freundlich wären, unserem neuen Kollegen zu erläutern, wie sich seine Stunden zusammensetzen?« Sondermann brummte etwas, und Wulfhilde wandte sich einem älteren Kollegen zu, der brav hinter ihr auf eine Gesprächsgelegenheit gelauert hatte. Langsam wurde mir Schwester Wulfhildes Führungsstil bewußter. Auf ihre freundliche, manchmal abschweifende Art dirigierte sie ihr Kollegium dennoch mit einem Geschick, das jedem Löwenbändiger zur Ehre gereicht hätte.
Sondermann machte sich die Mühe und kam gemächlich zu mir herüber. Belustigt stellte ich fest, daß seine Halbglatze das Licht der Deckenbeleuchtung widerspiegelte.
»Fünfundzwanzig Grundstunden minus eine Stunde Korrektur macht real 24, hinzu eine Olympiastunde, die dann als Überstunde gilt. Alles klar?«
»Natürlich. Alles klar.« Ich war mir sicher, daß meine Antwort ausreichend ironisch geklungen hatte, aber Herr Sondermann schien diese Intention nicht ganz mitbekommen zu haben. Er drehte sich um und verschwand wieder in seiner Ecke, wo er in einem Ordner herumblätterte. Ich würde Leo in Kürze mal nach der Auflösung des Stundencodes fragen. Statt dessen vertiefte ich mich erst einmal in meinen Stundenplan. Zweimal hatte ich erst zur zweiten Stunde Unterricht, sonst immer zur ersten. Ich rechnete aus, wann ich dann aufstehen mußte.
»Na, alles klar?« Roswitha Breding stieß mir einen Ellenbogen in die Seite und grinste mich von der Seite freundlich an.
»Ja, ich glaube, ich habe einen ganz guten Stundenplan.«
»Na, warte erstmal ab, bis du den Plan für die Pausenaufsicht bekommst. Wenn du Pech hast, macht sich Sondermann ein Späßchen daraus und teilt dich dreimal für die Toraufsicht ein.«
Ich schaute Roswitha fragend an. »Wieso? Ist doch angenehm, draußen Aufsicht zu machen. Jedenfalls, wenn gutes Wetter ist.«
Roswitha lachte laut auf. »Vor dem Schultor versammeln sich in den Pausen die Oberstufenschüler. Denen darfst du dann hinterherrennen, wenn sie ihre Kippen auf den Boden schmeißen. Außerdem mußt du dafür sorgen, daß die Autos der Kollegen durchgelassen werden. In einigen Fällen lassen sich die Schüler nur mit Hilfe einer Sackkarre zur Seite bewegen.« Roswitha seufzte. »Alles in allem gestalten sich die Pausen am Tor so, daß man mehr als froh ist, wenn man endlich in den vergleichsweise gemütlichen Unterricht entfleuchen kann.« Rosige Aussichten!
»Ganz was anderes«, wechselte ich das Thema, »kannst du mir mal zeigen, wo hier eine Toilette ist?«
»Wenn du rauskommst, die dritte Tür rechts.«
Als ich die Toilettentür hinter mir geschlossen hatte, ein geräumiges Ein-Mann-Klo übrigens, nahm ich einen beißenden Geruch von Reinigungsmitteln wahr. Eins war sicher: den deutschen Umweltpreis hatte man beim Reinigen des WCs nicht gerade errungen. Ich mußte mich ordentlich strecken, um das Fensterchen oberhalb der Toilette zu erreichen. Kaum hatte ich jedoch den Rahmen nach hinten geschoben, da hörte ich aufgebrachte Stimmen, offenbar aus dem Nachbarzimmer, wo das Fenster auch geöffnet sein mußte. Ich rechtfertigte mich vor mir damit, daß ich frische Luft schnappen wollte. Ich stieg auf den Toilettendeckel und streckte mein Ohr so weit wie möglich nach draußen.
»Sie haben jedesmal am Stundenplan mitgearbeitet, und ich sehe keinerlei Veranlassung, daß das in Zukunft anders sein sollte.« Eine Frauenstimme schien da Überzeugungsarbeit leisten zu wollen.
»Meine Antwort bleibt: nein!« Diese Stimme war mir allerdings bekannt. Der liebe Herr Sondermann, der mir eben erst eine gar lehrreiche Lektion zum Thema Stundenverteilung erteilt hatte.
»Herr Sondermann, Sie haben in diesem Bereich immer hervorragende Arbeit geleistet. Ich kann einfach nicht verstehen-«
»Jetzt reicht’s mir aber!« HeSieda schien wieder einmal einen cholerischen Anfall zu bekommen. Zum ersten Mal dachte ich an die armen Schüler, die diesem Lehrer ausgeliefert waren.
»Hören Sie doch auf mit diesem Gequatsche! Warum machen Sie nicht den gesamten Stundenplan alleine, Frau Studiendirektorin?« Die Frau im Ring schien Frau Erkens zu sein.
»Herr Sondermann, Sie sind ein schlechter Verlierer. Warum können Sie sich nicht damit abfinden, daß ich die Beförderungsstelle bekommen werde?
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