Ausgerechnet Souffle'!
flugs von dannen.
Mein Körper erliegt bereits den warmen Mittagsstrahlen. Dieses Plätzchen ist wunderbar, selbst wenn es nur die Herbstsonne ist, nicht gar so intensiv, aber ausreichend, mein verwirrtes Seelchen zu streicheln. Ich schließe entkräftet die Augen und wundere mich, was verflucht nochmal, mit mir geschieht. Als ich eines davon öffne, das rechte, um genau zu sein, tritt Julia aus dem Kiosk, bewaffnet mit einem Tuch und zwei Bechern Cappuccino. Schweigend hält sie mir den Wischlappen entgegen. Zwar nehme ich ihn an, jedoch nur, um ihn achtlos neben mir liegen zu lassen. Auf meinen Brüsten prangt ein riesiger Kaffeefleck. Das ändert nichts an der Größe meines A-Körbchens und verwandelt auch billige Baumwolle nicht in Seide. Wen kümmert es also. Lieber starre ich frustriert vor mich hin. Als ich nach einer geraumen Weile vorsichtig zur Seite linse, betet Julia dort ebenfalls mit geschlossenen Lidern die Sonne an. Sie hat sich nicht angesichts meiner sozialen Unverträglichkeit klammheimlich verdrückt. Stattdessen lehnt sie entspannt auf der unbequemen Holzbank und lächelt in sich hinein. Weder bombardiert sie mich mit lästigen Fragen, noch spüre ich den geringsten Hauch von Mitleid, welches mir mein nervtötendes Umfeld entgegenzubringen pflegt. Um ehrlich zu sein, macht sie nicht mal ansatzweise den Anschein, als ob sie überhaupt irgendetwas von mir will. Sie sitzt nur da. Eine Gefährtin des Lichts. Gerade überlege ich, ob mich ihre offensichtliche Gleichgültigkeit nicht doch irgendwie stört, als sie sich räuspert. Sie nickt, seufzt und murmelt:
„Großartig so ein Kaffee am Morgen.“
Das war es auch schon. Sonst nichts. Nichts! Kein: Katta, was ist passiert, was ist aus dir geworden, wieso siehst du so vergammelt aus. Nichts. Nur ein banaler Kommentar zu einem Heißgetränk.
In mir taut etwas. Und mit der Schmelze kommt das, was ich tunlichst vermeiden wollte. Der Schmerz. Ich glaube, eine Träne läuft mir die Wange herunter und ich versuche, sie rasch und ungesehen fortzuwischen. Julia nimmt schweigend meine Hand.
Wir sitzen lange dort. Unser Gespräch beschränkt sich auf den Austausch weniger, belangloser Sätze. Julias unverfängliche Bemerkungen über das Wetter, die Frau, die vorbeigeht, die Sorte Arabicabohnen, die besonders gut schmeckt, den kleinen Spatz am Zaun, über die bunten Blätter der Linde vor dem Haus holen mich Wort für Wort ins Jetzt zurück. Ich brauche eine ganze Weile, um mich an das Lebendig sein zu gewöhnen. Es tut irgendwie weh. Plötzlich will ich nicht weiterhin hier rumhängen und so tun, als brüte ich dumpf ein Straußenei aus.
„Ich habe alles verloren.“
Julia nickt.
„Ich weiß.“
Diese Gelassenheit beeindruckt mich. Ein neuer Mensch, frei von Angst und Schüchternheit. Ihre Präsenz wirkt fast unheimlich.
„Wie hast du das gemacht?“
Eigentlich frage ich mehr aus Höflichkeit. Sie blinzelt kurz und wendet sich mir zu. Ihre hellen Augen sind so lebendig. Sie versteht genau, was ich meine.
„Ich habe gelernt, dass ich reden muss. Niemand kann auf Lebenszeit eine Insel sein.“
Wie wahr. Etwas in mir regt sich seufzend.
Sie lacht mit einem Mal auf.
„Erst als meine Schwester vor mir stand, wurde mir klar, was mir die ganze Zeit fehlte. Wir haben geredet und geredet und geredet ... und plötzlich machte mir das Leben keine Angst mehr. Davor fand ich es sogar mühsam, morgens aufzustehen. Und dann diese endlosen Tage, die sich zogen wie Kaugummi ...“, fast nachsichtig schüttelt sie über sich selbst den Kopf, „wie hielt ich das bloß aus!“
Ja. Wie halte ich das bloß aus?
Dann zieht sie mir vollends den Boden unter den Füßen weg.
„Ich bin diesem schrecklichen Frank beinahe dankbar.“
Ich höre auf, meine Finger zu kneten und schaue überrascht auf:
„Meinst du das im Ernst?“
„Aber ja“, Julia nickt eifrig, „er brachte mich vollkommen an meine Grenzen. Ich stand kurz vor einem Zusammenbruch. Dachte ich jedenfalls. Doch ich war viel stärker, als ich je vermutet hätte. Das half mir tatsächlich auf die Sprünge.“
Es findet sich keinerlei Bitterkeit in ihrem Tonfall. Tatsächlich schnalzt sie mit der Zunge, nachsichtig und wohlwollend, als habe sich ein unartiges Kind einen Scherz erlaubt.
Ich überlege ernsthaft, ob ich sie über Frank Sanders wahres Gesicht aufklären soll. Und verwerfe den Gedanken sofort. Was nützt es noch, ihr von dem Komplott zu erzählen und dass nicht sie, Julia, sondern
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