Aussortiert
ihren Staranwalt Dr. Kessler aufs Revier, der darauf hinwies, daß
die persönlichen Aufzeichnungen Jimmy Kistners, wo sie in keiner
Verbindung zum Mordfall stünden, höchster Diskretion unterliegen
und nach Sichtung unter Verschluß bleiben müßten. Da ein
Testament fehlte, war es nicht leicht, einen Rechtsnachfolger zu
ermitteln. Kessler argumentierte, die Dateien, sofern sie sich auf dem Bürocomputer
von Kistner befänden, seien Eigentum der Schweinezeitung. Sie den Behörden
zu überlassen sei reine Kulanz, die keinesfalls ausgenutzt werden dürfe.
Der Chefredaktion schwante wohl, welcher Vorrat an Dreck hier in zwanzig
Jahren angesammelt worden war. Kessler hatte Angst, ein korrupter Polizist
könne Material Kistners an ein Konkurrenzblatt verticken, das sagte
er zwar nicht in diesen Worten, er drückte sich diplomatischer aus:
»… wollen wir, daß der Zugang zu den Dateien wenigen
bewährten und vertrauenswürdigen Beamten vorbehalten bleibt.«
Nabel beruhigte ihn. Es gebe
hier nur bewährte und vertrauenswürdige Beamte, für die er
beide Hände und Füße ins Feuer legen könne.
Die Aussprache mit Lidia
schob er ein paar Stunden vor sich her, dann nahm er sich ein Herz und
Lidia bei der Hand, schloß die Bürotür und schnaufte tief
durch.
»Mädchen.«
»Mann?«
»Es gibt ein Problem. Würdest
du mir helfen?«
»Wo ich kann.«
»Setz dich. Sag mir
bitte, ob und wenn welche Verbindungen du zu Kistner hattest.«
Lidia reagierte nachdenklich,
sah zur Zimmerdecke, kratzte sich an der Wange.
»Ich hab manchmal seine
Kolumne gelesen.«
»Überleg noch mal.«
»Okay … ich
überlege. Nein, da ist nichts weiter, Kai, was willst du?« Sie
beugte sich vor, das Kinn auf den Handrücken gestützt. Das gehörte
nicht gerade zum Gestenkatalog von jemandem, der sich ertappt fühlt
oder beengt. Aber das wußte sie selbst natürlich viel besser
als er.
»Ich habe gestern in
den Ausdrucken eine Liste gefunden und weiß nicht, was sie bedeutet.
Dein Name taucht darin auf. Gut, nicht dein ganzer Name, aber Lidia R.
KOK, ich gehe davon aus, daß du das bist.«
»Davon habe ich keine
Ahnung, Kai, ehrlich. Wenn ich lüge, will ich dich heiraten.«
Nabel mußte grinsen und
gab die strenge Haltung auf, zu der er sich gezwungen hatte.
»Also schön, hier
ist die Liste, erklär mir das bitte.«
Lidia sah sich die Liste an,
lange, schweigend. Hinter manchen Namen standen Datumsangaben. Hinter
ihrem eigenen nicht.
»Ich muß passen.
Sorry.«
»Streng dich an, Mädchen.«
»Tu ich, Mann.«
Für einen Moment kippte
die Stimmung ins Unangenehme. Plötzlich kam Nabel sich arrogant vor,
seine Kollegin einem Verdacht auszusetzen, der, näher betrachtet, auf
nichts gründete als einigen Abkürzungen.
»Die Datei ist überschrieben
mit T. V. B. T. Was kann das sein?«
»Weiß ichs? TV
Berlin, Türkenkanal. Keinen Schimmer.«
»Krüge. Was sagt
dir das?«
»Gehen so lange zum
Brunnen, bis sie brechen?«
»Naja …«
»Warte mal. Kai.«
»Was?«
»Schau mal«
Lidia zeigte auf einen
Eintrag. David P. PM.
»Ich kenne einen David
P. Polizeimeister.«
»Wer ist das?«
Lidia setzte ein gequältes
Gesicht auf. »Behältst du das für dich?«
»Solang es irgendwie
geht, Lidia.«
»Das ist wirklich nicht
leicht für mich, Kai, David ist in Ordnung, bitte, du mußt mir
das glauben …«
»Ich glaube dir alles,
du mußt mich nur überzeugen.«
»David hat mir mein
Koks geliefert. Können wir seinen Nachnamen da raushalten? Bitte, ich
sehe hier lauter Abkürzungen für Prominente. Ein Kreuz dahinter
bedeutet vielleicht, daß derjenige tot ist, ein c könnte für
clean stehen, Kai, das ist eine Liste von Drogenkonsumenten. Ich weiß
wirklich nicht, wie Kistner von mir erfahren hat, ehrlich, bitte, glaub
mir, was wir hier besprechen, kann mich meinen Job kosten, ich häng
an meinem Job, ich würde dir alles sagen, alles, was ich weiß,
nur, bitte, vertrau mir!«
Nabel sank tief in seinen
Sessel und war einen Moment lang nicht mehr Herr seiner selbst, so sehr
hatte ihn Lidias Flehen berührt, einerseits pathetisch, andererseits
fast peinlich. Er stand vor der Entscheidung, Lidia zu vertrauen oder, ein
für alle Mal, die Dinge zu trennen, die Dienstpflicht von der Liebe
und die Berufsauffassung vom Gefühl. Konnte es sein, daß Lidia
verlogen und rücksichtslos war? Nabel kämpfte darum,
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