Aussortiert
Leibesvisitation über sich ergehen lassen, nicht penetranter als ein
Check-in am Flughafen, danach durfte er bereits den Vorraum zum
Allerheiligsten betreten. Zugang zum Tresor bekam er nicht.
Der gutmütige Beamte
nahe der Pensionsgrenze wich ihm keinen Moment von der Seite. Ein
freundlicher, glatzköpfiger Mann mit kullernden blauen Augen und
einer enormen Wampe.
»Bitte sehr! Sehen Se
sich um!«
»Hier gibts aber gar
nichts zu sehen.«
Der Raum war beinahe leer,
bis auf einen Tisch und zwei Stühle und ein Stahlregal mit
Aktenordnern, in denen Ein- und Ausgang der Drogen protokolliert wurden.
Eine große Stahltür führte zum Tresorraum. An der Decke
hingen zwei Videokameras.
»Na, wat dachten Sie?«
»Und wer darf in den
Tresor?«
»In ganz Berlin nur
zwei Beamte. Es sei denn, es gibt mal viel zu schleppen. Dann sinds sechs
Beamte.«
»Wer sind die zwei
Beamten?«
»Dienstgeheimnis, Herr
Kollege.«
»Aber diese beiden
Beamten haben einen Schlüssel zum Tresor?«
»Nee, wat glauben Sie
denn? Daß die den Schlüssel ständig spazieren tragen? Schlüssel
gibts nur einen. Der ist bei mir.«
»Dann könnten doch
auch Sie an den Tresor?«
»Nee, kann ich nich.
Der Schlüssel zum Giftschrank, so heißt der nämlich bei
uns, liegt in einem eigenen kleinen Tresor, den kamma nur mitm Zifferncode
öffnen. Einer der Beamten stellt den Zifferncode, der übrigens täglich
wechselt, ein, ich öffne den Kleinen und händige dem Beamten den
Schlüssel aus. So läuft et. Der Beamte schließt sich im
Vorraum ein, öffnet den Tresor, macht, wat er zu tun hat, dann sperrt
er zu und gibt mir den Schlüssel wieder. Ick tu den Schlüssel in
den Kleinen, der Beamte überwacht mich bei, so läuft det.«
»Wird dieser Beamte am
Ausgang durchsucht?«
»Stichprobenartig wird
Taschenkontrolle gemacht, ja klar. Mißtrauen ist der Papa der
Porzellankiste.«
Nabel setzte ein
schlechtgelauntes Gesicht auf. Das System schien auf den ersten Blick
sicher. »Und wie geht der Abtransport vor sich?«
»Abtransport?«
»Der Drogen, die
verbrannt werden sollen.«
»Au ja! Na, das ist
jedesmal n ziemlicher Zirkus. Die Ware wird unter Aufsicht
runtergeschleppt in einen vom BKA bewachten Transporter, mindestens sieben
Mann hoch sitzen drinne, ein Wagen fährt voraus, n anderer hinterher,
mehr weeß ick ooch nich, der Rest ist die Fahrt zur Hinrichtung.«
»Eine Frage noch.«
»Bitte.«
»Angenommen, ein
Beamter will nur an die Akten hier, nicht in den Tresor. Wird das
protokolliert?«
»Na klar. Videoüberwachung
ist immer eingeschaltet. Wissen Se, ick weeß doch, worauf Se
hinauswollen. Ob hier unterm Händchen was abhanden kommen kann. Nich?
Und ick sach Ihnen, nee, det geht nich. Sind wa hier in Hamburg?«
Der Alte spielte auf einen
Vorfall an, bei dem es einem jungen Hamburger Polizisten gelungen war, 900
Gramm Kokain aus der Aufbewahrung zu klauen. Gelungen ist das falsche
Wort, er war ja schließlich doch erwischt worden, wenn auch erst
Wochen später.
Nabel dachte nach, gab dem
Glatzkopf die Hand, dankte für dessen Erläuterungen und fuhr in
sein Büro zurück.
Lidia konfrontierte ihn mit
den jüngsten Zeitungsartikeln. Die Presse gierte nach Stoff, mehr
mehr mehr wurde gefordert. Entweder neue Details, neue Erkenntnisse oder
neue Morde. Zwar schrieb das niemand so wortwörtlich, aber der
Tonfall mancher Artikel erinnerte an die Hysterie eines Junkies auf
Entzug. Nabel kotzte dieses System an, er fühlte sich zum
Aushilfsentertainer einer blutgierigen Gesellschaft rekrutiert. In Tel
Aviv hatte es zwei Selbstmordattentate gegeben und in Tschetschenien ein
Massaker, damit trösteten sich die Zeitungen notdürftig über
die Stagnation der Berliner Ermittler hinweg.
»Wir sind im Kolosseum,
Lidia, und das Volk will Spiele.«
»So ist das eben, Kai.
Unsere Spezies ist grausam. Und nur eingeschränkt lernfähig.«
»Wird sich das
irgendwann bessern? Was meinst du?«
»Schon möglich.
Wir beide werden es kaum mehr erleben. Solltest dich abfinden damit.«
»Ich sollte eher den
Fall abgeben.«
»Warum?«
»Wegen erwiesener Unfähigkeit.
Ich glaube aus irgendeinem Grund nicht mehr an einen geisteskranken
Killer, aber wahrscheinlich haben wirs genau damit zu tun. Wie soll ich
einen Fall lösen, an dessen offensichtliche Grundlagen ich nicht
glauben kann?«
Lidia versuchte ihn zu
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