Aussortiert
»hab ich nicht. Und wenn? Was würde das
bringen?«
»Jeder Stoff ist auf
seine Weise einzigartig. Wir könnten mit einem Milligramm das
Herkunftsland bestimmen. Und aufgrund der Art, wie er verschnitten ist, könnte
man feststellen, aus welchem Glied der Verteilerkette er stammt. Weißt
du, beim Ottonormalkonsumenten landet ein Anteil von 30 Prozent reinem
Koks, der Rest ist beigemischte Scheiße.«
»Wenn dir so viel daran
liegt, kann ich ja noch was bei Pfeifer bestellen.«
Nabel sah sie an. Ein Lächeln
riß seine Lippen für einen Sekundenbruchteil auseinander.
»Glaubst du denn, er
gibt dir noch was?«
»Er mag mich.«
Lidia sagte es so neutral wie möglich. Er ist scharf auf mich, hätte
sie ebensogut sagen können.
Nabel schnippte mit zwei
Fingern, ließ die Hand ausgestreckt, deutete mit dem Zeigefinger auf
einen imaginären Punkt über Lidias Stirn.
»Das wäre gar
nicht schlecht. Würdest du ein Mikro tragen?«
»Wozu? Kai, ich glaube
nicht, daß Pfeifer für die Sache relevant ist. Ich käme
mir mies dabei vor, ehrlich.«
»Na schön, dann
geh ohne Mikro zu ihm. Was wir haben, haben wir. Bitte ihn um einen
Nachschlag. Guck nicht so griesgrämig! Ich piß deinem
Klassenkameraden schon nicht ans Bein.«
»Versprochen?«
Versprechen wollte Nabel aber
gar nichts. Dazu war der Fall zu heiß.
Pfeifer, soviel hatte er
über diverse Kanäle erfahren, war von keinem anderen als
Kriminalrat König zum Streifendienst verdammt worden. Eigentlich
logisch. Ein so diskretes
Unter-den-Teppich-Kehren-von-etwas-ganz-ganz-Heiklem, eine so stille
Übereinkunft, um den guten Ruf des Drogendezernats zu schützen,
dergleichen mußte von einem hohen Vorgesetzten abgesegnet werden,
der eine gewisse Flexibilität genoß, der Spielraum besaß,
sich nicht allzu streng an die Vorschriften halten und im Personalakt
nicht ins Detail zu gehen brauchte.
König zum Beispiel. König
verfügte über alle Voraussetzungen, um jene graue Eminenz zu
sein, hoch oben im Polizeiapparat, nach der Nabel suchte. Im Grunde war er
Nabels erster und einziger Verdächtiger. Dabei gab es neben König
in der Abteilung 2a vom Rang her ein halbes Dutzend ähnlicher
Kaliber. Bloß hatte er diese nie persönlich kennengelernt.
Über allen thronte
Kriminaloberrat Ludwig, berlinweit Chef der Rauschgiftbekämpfung,
aber Ludwig war zweiundsechzig Jahre alt, festgewachsen an seinem
Schreibtisch, und Nabel hing dem bequemlichen Glauben an, ab einem
gewissen Alter lasse die kriminelle Energie nach, proportional zur
Sexualität. Lidia hätte ihm sagen können, daß diese
These purer Unfug war, ebenso widersprach ihm seine eigene
Berufserfahrung. Der tiefere Grund für Nabels Denken beruhte wohl auf
der Scheu, einen Kriminaloberrat finsterer Umtriebe zu verdächtigen.
Dessen Macht war im Vergleich zu der von Nabel so überwältigend
groß, daß es aussichtslos schien, eine solche Front zu eröffnen.
Prompt wurde Nabel depressiv. Der Umstand, daß in dieser korrupten
Welt rechtsfreie Zonen existierten, daß gewisse Menschen von ihren
Titeln behütet wurden, sofern man sie nicht gerade mit der Glocke um
den Hals in flagranti überraschte, das Wissen darum raubte Nabel
einen Großteil seiner frischen Emphase.
»Lidia?«
»Ja?«
»Wir beide werden
nichts erreichen. Wir sind zwei schmale Würstchen. Das wird mir eben
klar. Wir brauchen Unterstützung. Von oben. Sonst können wir das
Ganze vergessen.«
Lidia servierte eine Flasche
Montepulciano und hoffte auf Kais zustimmenden Kommentar.
Er schien den Wein nicht ganz
abstoßend zu finden, aber auch keiner Bewertung würdig.
Gierig trank er sein Glas in
einem Zug aus.
»Und an wen denkst du
da?«
»Ich weiß nicht.
Vielleicht setze ich alles auf eine Karte und geh nochmal zu König.«
»Und falls König
genau der ist, den wir suchen?«
»Haben wir dennoch die
Initiative auf unsrer Seite. Ich muß ja nicht gleich alles auf den
Tisch legen. Ich kann ein bißchen über Kistner erzählen
und dessen Drogenkonsum. Im schlimmsten Fall wecken wir den Löwen in
seiner Höhle.«
»Schmeckt dir der Wein?«
»Was? Ja. Du
telefonierst morgen mit Pfeifer. Bittest ihn, dir noch mal ein, zwei Gramm
vorbeizubringen. Du kriegst das hin, oder?«
»Glaub schon.«
12
Pfeifer kam am Kleistpark
vorbei, sah sich unauffällig um und spazierte gemächlich, beide
Hände in
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