Avanias der Große
aber sie waren sich schon sehr vertraut. Warum dem so war, verstand Avanias' Schwester auch nicht wirklich. Vielleicht war es auch nur die Sehnsucht? Vielleicht auch nur die persönliche Einbildung eines gewöhnlichen Bruders? Sah sie denn eigentlich nur einen Bruder in Lumkin? Dann muss es aus diesem Grund gewesen sein, warum sie ihm eine Ohrfeige gegeben hatte. Lumkin spürte immer noch den Schmerz vom Schlag. Noch nie zuvor hatte eine Frau ihn geschlagen. Er fühlte keine Wut in sich. In diesem Moment spürte er seltsamerweise Trauer. Ja, er war traurig. Er weinte. Es sah geradezu lächerlich aus, aber der kleine junge Mann hatte Tränen in den Augen. Nandia bereute ihre Tat nicht, jedoch war sie von Lumkins Reaktion doch überrascht. „Es tut mir leid. Ich habe überreagiert. Das ist normalerweise nicht meine Art. Ich entschuldige mich noch einmal.“
Der Schmied hielt seine Augen immer noch geschlossen. Was sollte er ihr denn auch entgegnen? Die Szene war schon peinlich genug für beide. Ein Wächter tauchte am anderen Ende des Gangs auf. Nandia zog den Rock ihres Kleides hoch und rannte davon. Avanias' neuer Freund stand immer noch wie angewurzelt da. In ihm spielte sich eine Art Reversion ab. Eine Art Heilung, eine Reinigung seines Geistes. Jene Ohrfeige von Nandia war wie ein Besen, welcher all das Übel in ihm wegfegt hatte. Jetzt war er bereit. Ja, jetzt war er endlich ein neuer Mensch geworden. Vernichtet war der Draufgänger, der Raufbold, der Schürzenjäger in ihm. Er war wieder zur puren Unschuld zurückgelangt.
Er sah auf. Sie war verschwunden. Wohin war sie gegangen? Verzweifelt rann er zum Tor am Ende des Gangs. „Nandia! Nandia!“
Avanias durfte den König nicht reizen, indem er mehr von ihm verlangte. Nohandas musste zurückbleiben.
Mehendes durfte, nachdem er seinen Vater mit dieser Bitte nicht mehr in Ruhe gelassen hatte, mit Avanias und den Anderen mitgehen.
Avanias war es Recht, denn, dadurch dass Mehendes mit ihnen zog, wurde auch gesichert, dass der König sein Versprechen einhalten würde, 10000 Mann nach Alvestia zu entsenden.
Auf ihrem Weg in den Osten ließen die Gefährten sich etwas mehr Zeit. Sie rasteten an den verschiedensten Orten und wollten auch endlich wieder in einer der komfortableren Herbergen übernachten.
Nachdem sie den Barania-Pass auf halbem Wege nach Avania überquert hatten, machten sie eine längere Pause mitten auf der Straße, die vor Urzeiten von den Vorfahren der Alvestier und Mentschaken erbaut worden war. Aschawischti und Avanias hatten nun die Gelegenheit, unter vier Augen miteinander zu reden, dabei die Zügel ihrer Pferde noch in ihren Händen haltend.
„Du hast da einen prächtigen Schimmel, Avanias!“
„ Sein Name ist Kulva, was in meiner Sprache ,Freund des Kindes' bedeutet. Er war mir stets der beste Freund auf all meinen gefährlichen Abenteuern.“
„ Freund des Kindes. Ein guter Name! Mein Pferd hat nicht einmal einen Namen, da ich persönlich nie eins hatte.“
Beide lachten. Avanias wurde wieder ernst. „Was ich vor einigen Tagen am Lagerfeuer über dich gesagt habe, das war meine ehrliche Meinung, Aschawischti.“
„Ich weiß. Es ist mir aber auch nicht wichtig, wenn dein Meister mich nicht mag. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die mich abgelehnt haben. Das ist normal.“
„ Ich denke nicht, dass er dich ablehnt. Er nimmt unser Unternehmen sehr ernst. Glaub mir, wenn er wütend wird, dann wird er sehr unangenehm! Das war aber, als du deinen Witz erzählt hast, nicht so. Im Gegenteil, ich denke, er mag dich!“
„ Na dann, ich bin beruhigt.“
Sie lachten wieder. Wieder machte Avanias schnell ein ernstes Gesicht. „Besonders ich, ich brauche solch einen Freund wie dich, der immer gute Laune hat, selbst wenn sein Herz mit tiefer Trauer erfüllt ist.“
„Na ja, so humorvoll bin ich wiederum auch nicht! Es gibt schon Tage, wo ich richtig traurig bin und keine Lust habe, lustig zu sein!“
„ In Wahrheit ist mein Herz die ganze Zeit schon in tiefer Trauer. Meine Mutter ist vor Kurzem gestorben. Ich kannte sie jedoch nicht gut, da ich im Norden aufgewachsen bin. Da ist noch etwas Anderes geschehen. Ich habe eine Frau, für die ich sehr viel empfinde, einfach gehen lassen. Sie ist die Liebe meines Lebens. Ich denke nur noch an sie. Ich weiß nicht, was ich tun soll!“
„ Dann geh doch zu ihr hin und hol sie dir! Wo ist da das Problem?“
„ Das Problem ist, dass sie einem Anderen versprochen ist. Und sie ist
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