Baccara Collection 186
auf. „Unter Umständen kennen Sie die Lösung und wissen es nur nicht.”
Das erschien ihr nun höchst unwahrscheinlich. So etwas gab es ihrer Meinung nach nur im Film.
„Überlegen wir doch gemeinsam, das hilft manchmal”, schlug Mathis vor und trat an eines der Fenster, hatte jedoch keinen Blick für die Vorgänge auf der Straße. „Wenn die Gegenwart nicht die gewünschte Antwort liefert, liegt diese vielleicht in der Vergangenheit des Stratford.”
Es war ihr nicht fremd, dass die Vergangenheit in die Gegenwart hineinspielte. Schließlich hatte sie bei der Erhaltung alter Dokumente ständig damit zu tun. „Sprechen Sie ruhig weiter”, forderte sie ihn auf und ließ sich auf einen der zierlichen Stühle sinken, die vor dem Schreibtisch für Besucher bereitstanden.
„Das Stratford gehörte Ihrem Urgroßvater mehr als drei Jahrzehnte lang”, fuhr Mathis fort. „Und er führte auch das Hotel selbst. Das ist doch richtig, oder?”
„Ja, das ist richtig”, entgegnete sie.
„Meines Wissens nach starb er schon vor fast zwanzig Jahren.”
Desiree nickte.
„Danach übernahm seine Witwe Charlotte das Hotel und kümmerte sich bis zu ihrem Tod im letzten Winter darum.”
Auch das konnte Desiree nur bestätigen.
„Sie sind unangefochten die Alleinerbin?”
„Unangefochten. Aber selbst wenn noch ein möglicher Erbe vorhanden wäre, würde er sich nicht mit diesem Hotel herumschlagen wollen”, erwiderte sie. „Wenn Sie sich genauer umsehen, wird Ihnen nicht entgehen, dass es überall deutliche Verfallserscheinungen gibt.”
„Das Stratford benötigt dringend eine Generalüberholung”, bestätigte er. „Und so eine Renovierung verschlingt Unsummen.”
Desiree seufzte bekümmert. „Das Stratford muss vollständig renoviert werden.”
Mathis ließ eine Weile verstreichen, ehe er sich erkundigte: „Könnte die von uns gesuchte Antwort in der Vergangenheit Ihres Urgroßvaters liegen?”
„Das wäre möglich; zumindest denkbar, ja”, räumte sie ein, weil er absolut logisch dachte. „Ich weiß aber auch zu diesem Punkt absolut nichts. Es tut mir Leid.”
„Erzählen Sie mir mehr über den Colonel”, forderte er sie auf. „Vielleicht bringt uns das weiter.”
Jules Christian Stratford hatte ein langes und abwechslungsreiches Leben geführt. Wo sollte Desiree da mit ihrer Erzählung beginnen?
„Mein Urgroßvater war ein außergewöhnlicher Mann, der in einer bewegten Zeit unter nicht alltäglichen Umständen aufwuchs. Er kam noch im neunzehnten Jahrhundert auf dem Landsitz seiner Familie in Herefordshire in England zur Welt. Die Familie gehörte zum Landadel, verlor jedoch Land und Vermögen, bevor er das zwanzigste Lebensjahr erreichte.”
Desiree legte eine kurze Pause ein, ehe sie weitersprach.
„Mit seinen letzten Pennys kaufte er ein Offizierspatent, trat in die Dienste des Königs und wurde nach Indien geschickt. Jules Stratford war ein starker, tapferer und liebenswerter Mann, durchaus fähig, sein Land, seinen König, seine Truppen, seine Familie und sich selbst zu verteidigen.”
„Erzählen Sie mir mehr von ihm.”
Desiree bemühte sich, ihre Erinnerungen möglichst klar und übersichtlich zusammenzufassen. „Er war gern Soldat, liebte Indien, meine Urgroßmutter, das Stratford, Tee und mich nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Er las gern und zitierte oft aus Büchern. Meiner Meinung nach kann man einen Menschen sehr gut nach seinen Büchern beurteilen, finden Sie nicht auch?” fragte sie.
„Ja”, entgegnete er knapp. „Welche Zitate brachte er besonders gern?” erkundigte er sich.
Desiree wollte eigentlich nicht mit ihm darüber sprechen, weil sie die Erinnerungen an ihre Kindheit bei ihrem Urgroßvater als sehr persönlich und daher kostbar betrachtete. Sie war allerdings vernünftig genug, um zu erkennen, dass Mathis Hazard nicht aus bloßer Neugierde fragte. Er versuchte Antworten auf äußerst schwierige Fragen zu finden.
„Er sagte immer, ich sollte zu den Sternen aufblicken”, berichtete sie nach kurzem Zögern.
Mathis ließ nicht erkennen, wie er darüber dachte und ob er es vielleicht kindisch fand. „Und was meinte er damit? Was denken Sie?”
„Das weiß ich sogar ganz genau”, setzte sie ihm auseinander. „Er meinte damit, dass ich alles im Leben werden könnte, was ich mir in den Kopf gesetzt habe. Ich könnte auch alles erreichen, wenn ich es mir nur fest genug vornehme und Herz und Verstand einsetze, um ans Ziel zu kommen.”
Erneut
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