Baccara Collection 186
den Blick schweifen. Die Hügel waren mit hohen Bäumen bewachsen, die wie Wachtürme über die saftigen grünen Wiesen im Tal hinausragten. Ihre Blätter raschelten leise im Wind, und das eine oder andere streifte wie eine zarte Liebkosung ihre Wange. Weit unter ihnen schlängelte sich das glitzernde Band des Flusses, und Meg glaubte sogar, ein Reh zu erkennen, das sich am Wasser erfrischte.
„Ich bin überwältigt.”
„Früher bin ich sehr oft hierher gekommen”, erzählte Linc, nachdem sie abgesessen hatten. „Ich war sicher kein einfaches Kind.” Er brach ab und verlor sich in seinen Erinnerungen. Auf einmal deutete er auf eine Stelle tiefer im Wald. „Schau mal!”
Meg musste lange suchen, bis sie entdeckte, was er ihr zeigen wollte. „Eine Blockhütte.”
„Dad und ich haben sie gemeinsam gebaut. Fast einen Monat haben wir dafür gebraucht. Drinnen ist es natürlich sehr primitiv: Das Wasser muss aus einem Brunnen hochgepumpt werden, und eine Toilette gibt es auch nicht. Aber als Heranwachsender habe ich mich hier sehr wohl gefühlt. Dad wusste genau, dass ein Mann ab und zu allein sein will. Er hat mich oft hier aufgesucht, und dann haben wir geredet. Vielmehr Joe hat geredet. Er wusste über alles Bescheid, erzählte mir die alten Indianersagen oder sprach davon, wie er Pauline kennen gelernt hatte.”
Lange schwiegen sie.
Meg verstand sehr gut, was ihn bewegte. Da sie keine Worte fand, um ihn zu trösten, kam sie in seine Arme. Linc konnte sein Glück nicht fassen, doch dann meldete sich sein Gewissen. Wie wollte er Wort halten, wenn sie so nahe war?
„Ist schon in Ordnung”, flüsterte Meg, und ihr warmer Atem streifte seine Brust wie ein zärtlicher Hauch. Trotzdem löste er die Umarmung.
„Machen wir uns lieber auf den Heimweg. Am Ende schickt Dale noch einen Suchtrupp los.”
„Hast du nicht vorhin gesagt, dass wir erst zum Abendessen zurückerwartet werden?”
Leicht machte sie es ihm heute nicht. „Du weißt ja, bis wir die Pferde versorgt und uns geduscht haben …”
„Ach so.” Meg hatte verstanden. Sie klang enttäuscht. „Dann vielen Dank, dass du mir das heute alles gezeigt hast.”
Sie stand auf und wollte Josey besteigen, doch Linc hielt sie zurück. „Mir fällt es auch nicht leicht, ich kann es kaum ertragen. Aber ich habe dir gestern mein Wort gegeben und will es unter keinen Umständen brechen.”
„Was erträgst du nicht?” fragte ihn Meg mit unschuldigem Blick.
„Dass ich dich nicht küssen darf. Seit du auf die Koppel gekommen bist, sehne ich mich danach, dich zu küssen.”
„Mir geht’s genauso”, flüsterte Meg und kam einen Schritt näher. Ihre Wangen glühten.
„Dann haben wir eine Menge aufzuholen”, meinte Linc und zog sie in die Arme.
6. KAPITEL
An diesem Abend stocherte Linc lustlos in seinem Essen herum, obwohl Dora ihnen wieder einen ihrer schmackhaften Braten vorgesetzt hatte. Nikkis munterem Geplaudere lauschte er nur mit halbem Ohr. Seine Gedanken kreisten unaufhörlich um Meg.
Dachte sie auch gerade an den vergangenen Nachmittag, an ihre Küsse im Wald? Bei einem Kuss war es natürlich nicht geblieben. Viel Zeit war vergangen, ehe sie widerwillig voneinander abgelassen hatten, um den Rückweg anzutreten.
Plötzlich hörte Linc seinen Namen. Überrascht blickte er auf und merkte, dass Nikki ihn vorwurfsvoll ansah. „Du hast mir überhaupt nicht zugehört!”
„Entschuldige, würdest du es bitte wiederholen?”
„Julie Newton hat mich eingeladen, das Wochenende bei ihr zu verbringen. Du hast doch nichts dagegen, oder? Ich verspreche auch, dass ich fleißig lerne, mein Zimmer aufräume und mich überhaupt ganz mustergültig benehme.”
Erwartungsvoll blickte das Mädchen ihn an. Ihre Bitte kam völlig unerwartet, aber Linc war heilfroh, dass Nikki wieder Kontakt zu einem wirklich netten Mädchen wie Julie geknüpft hatte. Er nickte bedächtig.
„Dann darf ich?” drängte Nikki.
„Wenn Julies Eltern einverstanden sind.”
Jubelnd fiel Nikki ihrem Bruder um den Hals und stürmte aus der Küche. „Muss Julie Bescheid geben”, rief sie ihm über die Schulter hinweg zu. Dann herrschte Stille in der Küche, doch Meg hatte das Gefühl, dass Linc etwas im Schilde führte.
„Weißt du, Meg, der heutige Nachmittag hat mir gezeigt, dass wir mehr Zeit füreinander brauchen. Was hältst du davon, wenn wir Nikkis Abwesenheit nutzen und gemeinsam verreisen? Ich muss dringend geschäftlich nach San Antonio. Hättest du Lust, mich
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