Bärenmädchen (German Edition)
Benehmen“, etwa darauf, dass sie sich ausschließlich durch die ihnen zugestandenen Laute verständigten. Die zärtlich-hautnahe Buchstabenmalerei, mit der sich Anne und Adrian ausgetauscht hatten, wäre von den Zofen sofort unterbunden worden.
Voller Eifer kamen sie ihrem Wachdienst nach. Sie liebten es, mit den Stuten umzugehen. Ebenso wie die meisten Alphas waren sie fasziniert von ihnen. Ihre Gründe waren sicherlich andere. Mit lustvollem Schaudern betrachteten sie die Abrichtung der Stuten, die ihnen ja jederzeit ebenso drohte. Aber da war noch mehr: Die Betas, die so radikal in tierartige Geschöpfe verwandelt wurden, weckten in ihnen den Drang, sie zu umsorgen und zu betreuen. Streng, fürsorglich und verspielt gingen sie mit ihnen um, so wie man es anderswo mit possierlichen Haustieren tat. Die Zofen, die für die Essenausgabe zuständig waren, sorgten peinlich genau dafür, dass jede der Stuten die ihr zugedachte Ration erhielt. Unerbittlich wachten sie darüber, dass selbst die Hungrigsten unter ihnen erst dann anfingen zu essen, wenn sie das Kommando dazu erteilt hatten. Danach, wenn sie ihnen die Gesichter säuberten, schimpften sie mit spielerischem Eifer diejenigen aus, die allzu verschmiert waren, und machten schließlich ein großes Gewese darum, welche der Stuten denn nun den halben Apfel erhalten sollte.
Manchmal – wenn niemand zusah – spielten sie ihre Macht noch deutlicher aus. Sie genossen es, dass diese Betas sogar ihnen untergeordnet waren und ihre kleinen Grausamkeiten, etwa ihre scharfen, schnellen Ohrfeigen, klaglos ertragen mussten. Wie um die Stuten zu entschädigen, sparten sie danach nicht mit Küssen, Umarmungen und anderen Zärtlichkeiten. Immer wieder streichelten sie ihnen auch andächtig über die kahlrasierten Schädel, die sie besonders zu faszinieren schienen.
Das eigentliche Training der Stuten aber blieb Rockenbach und Anatol vorbehalten. Rockenbach erkannte dabei schnell, was Anne besonders schwer fiel. Wenn sie auf den Stutentrab achtete, überhörte sie immer wieder die Stimmkommandos des Fahrers. Und wenn sie auf ein Whoa, ein Go oder ein doppeltes Go horchte, wurden ihre Bewegungen immer flacher und unansehnlicher. Ein intensives Training an der Longe sollte helfen, entschied Rockenbach.
„Da geht’s am besten“, erklärte er Anatol, während Anne schwer keuchend von der letzten Ausfahrt und immer noch angeschirrt neben ihnen stand.
„Fällt ihr einfach schwer, sich auf mehrere Sachen zugleich zu konzentrieren. An der Longe fallen die Zügelsignale weg. Sie läuft ja nur im Kreis und den Sulky muss sie auch nicht ziehen. ‘n bisschen lernschwache Stuten kapieren da viel leichter.“
So wurde Anne mindestens einmal täglich von Rockenbach oder Anatol longiert. Die beiden ließen sie an einer langen Leine, der Longe, im Kreis um sich herumlaufen. Annes Arme waren dabei, wie vor der Kutsche, hinter ihrem Rücken festgebunden. Ihr Kopf war in „Himmelgucker-Pose“ fixiert. Die Longe wurde an ihrem Halsband befestigt. Das andere Ende hielt ihr jeweiliger Trainer in der linken Hand. Mit der Rechten handhabte er eine Peitsche. Sie bestand aus einem recht langen festen Teil, an dem eine etwa ebenso lange Schnur befestigt war. So ließ sich die „lernschwache“ Stute mühelos erreichen. Rockenbach, als besonderer Könner im Umgang mit der Peitsche, liebte es, die unterschiedlichsten Körperteile von den Knien bis zu den Schultern anzuvisieren – und zielgenau zu treffen. Anatol wählte sich als Ziel meist ihren Po.
Und wie schnell sie unter diesen Umständen lernte. Bald riss sie bei jedem Schritt fleißig und kraftvoll ihre Beine hoch und befolgte jedes der fünf Stimmkommandos, als hätte sie nie etwas anderes in ihrem Leben getan.
Eines Tages war Anatol beim Longieren so zufrieden mit ihr, dass er immer wieder lobende Worte für sie fand. Er sprach auf moldurisch, aber sein singender und sanfter Tonfall war eindeutig, und Anne stellte überrascht fest, dass sie gar nicht genug davon bekommen konnte. Sie überließ sich ganz seinen Kommandos, schoss, wenn er es wollte, los oder blieb abrupt stehen, wenn sein gedehntes Whoa erklang.
Außerdem tat es furchtbar gut, nach den langen nächtlichen Stunden nahezu vollkommener Unbeweglichkeit endlich wieder laufen zu dürfen. Es war früh am Morgen. Der strahlend blaue Sommerhimmel versprach einen heißen Tag, aber noch war es angenehm kühl. Manchmal spürte sie sogar einen erfrischenden Windhauch auf ihrem
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