Bärenmädchen (German Edition)
ebenso süße wie peinvolle Bedrängnisse durchlitt. Erstaunlicherweise spürte sie auch ein Gefühl nie gekannter Freiheit. So frei, dass sie jetzt ein unanständiges Mädchen sein durfte. Ja, sie hätte nicht ungern das Zepter des mächtigen Schlossherren mit ihrem Mund verwöhnt. Sanft, seufzend und mit Spucke – so wie sie es gelernt hatte. Immerhin hatte sie in diesem Fach sogar eine Eins bekommen. Als einzige - neben Dascha natürlich. Lüstern und fröhlich kichernd leckte sie sich über die Lippen. Das war doch endlich einmal ein Schulfach das nicht trocken war – ganz im Gegenteil.
Annes gute Stimmung war dahin, als sie auf den Flur trat und Ines sah. Wie blass sie aussah, und immer noch hatte sie den gleichen betrübten, in sich gekehrten Gesichtsausdruck. Anne schalt sich eine miese Egoistin. Nicht ein einziges Mal hatte sie eben an Ines gedacht. So dicht wie möglich kniete sie sich neben ihrer Freundin auf die Matte. Gerne hätte sie Ines in den Arm genommen, aber direkt neben der Tür des Schlossherren traute sie es sich nicht. So blieben beide in der vorgeschriebenen Sitz-Position und schauten starr auf das Mauerwerk der gegenüberliegenden Wand, als sie ihr geflüstertes Gespräch begannen.
„Was?“, hauchte Anne.
„Die Spezialausbildung.“
Anne schloss die Augen.
„Warum?“
„Diablo, der tote Hund. Ich hab Schuld.“
„Aber das ist doch nicht wahr.“
„Doch und dir habe ich damit auch so viel Ärger bereitet.“ Ines warf einen kurzen Seitenblick auf Annes Nasenring mit dem Glöckchen. „Ich will es wiedergutmachen.“
„Wie? Was ist die Spezialausbildung?“
„Rockenbach sagt, er wird mich wie ein Pferd, wie eine Stute abrichten. Wir müssen Kutschen ziehen. Müssen im Stall leben“
„Oh Ines, sag, dass du noch nicht den Vertrag unterschrieben hast.“
Ines deutete mit einem Nicken an, dass sie es doch getan hatte.
„Ich hab doch Schuld. Dafür muss ich büßen. Herr Rockenbach hat so an dem Hund gehangen“, wisperte sie mit einer Ergebenheit, die Anne fast um den Verstand brachte.
„Ich werde mit Adrian sprechen. Er wird es verhindern“, flüsterte sie verzweifelt. Aber Ines schüttelte den Kopf. „Nein, ich will es so“, sagte sie und das klang jetzt wiederum so entschieden, wie Anne es noch nie von ihr gehört hatte. Dann versuchte Ines ein zaghaftes Lächeln und flüsterte: „Ist schon in Ordnung. Ist es bei dir besser gelaufen?“
Anne berichtete kurz, was ihre Besprechung ergeben hatte. Anfangs versuchte sie, ihr eigenes Glück so weit wie möglich herunterzuspielen, aber als sie merkte, wie sehr Ines sich mit ihr freute, ließ sie ihre Freundin so gut es ging daran teilhaben. Als sie dann erzählte, dass Dascha den verrückten Attila von Ungruhe als Gebieter bekommen würde, musste selbst Ines kichern. Beide konnten es kaum erwarten, Daschas Gesicht zu sehen, nachdem Abner ihr diese Nachricht mitgeteilt hatte.
Sie mussten nicht lange warten, bis das Mädchen und die Krähe aus dem Büro des Schlossherren traten. War Dascha zornig, so ließ sie es sich allerdings nicht anmerken. Sie ignorierte die beiden und schaute vollkommen neutral. Dann wurde Anne durch die Krähe abgelenkt. Sie tat etwas so Sensationelles, dass Anne es zunächst gar nicht glauben konnte und sie nur entgeistert anstarrte. Sie machte einen Witz: „So meine Damen, wenn es ihnen jetzt genehm ist, geleite ich sie zu ihrem Gemächern“, sagte sie. Ihr Vogelgesicht verzog sich zu einer Grimasse, die – was sollte es sonst sein? – tatsächlich ein Lächeln darstellen musste.
Ja, die Krähe war gut aufgelegt und sie ließ den Mädchen in den letzten 24 Stunden vor dem Willkommensfest viele Freiheiten. Ungewohnt locker ging es in den wenigen Unterrichtseinheiten zu, die noch anstanden. Gleichzeitig herrschte aber eine große Geschäftigkeit unter den Mädchen und den für sie zuständigen Mitarbeitern des Schlosses.
Anne erfuhr, dass ausnahmslos jede von ihnen die Beitrittserklärung unterschrieben hatte. Nun wurde alles Nötige veranlasst, damit die neuen Betas möglichst lange im Schloss bleiben konnten. Von Seiten der Organisation wünschte man es, um ihre Erziehung zu perfektionieren, aber auch die Mädchen selbst setzten alles daran, nicht so bald abreisen zu müssen. So wurden Urlaubssemester eingereicht und unbezahlter Urlaub genommen, Ferienreisen, Fortbildungen und Termine abgesagt. Nicht wenige kündigten sogar ihren Job. Wieder einmal zeigten sich dabei die anscheinend
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