Bärenmädchen (German Edition)
an. Die Mädchen waren alleine im Schlafsaal. Es war der Augenblick, kurz bevor die Krähe hereinkommen würde, um ihnen den Keuschheitsgürtel anzulegen und ihre Halsbänder an der Wand zu befestigen. Einige trugen schon das weiße kurze Nachthemd, die meisten waren nackt. Larissa, die 27-jährige Bibliothekarin, hatte Miriam damit aufgezogen, dass sie beim Abendbrot ebenso gierig auf ihr Essen wie auf den bestrumpfthosten Schwanz eines der Engelsgesichter gestarrt hatte. Als Antwort pfefferte Miriam ihr Kissen in Richtung Larissa. Die bückte sich, und so prallte das federweiche Geschoss gegen Ines, die hinter ihr stand. Ines ließ sich nicht lange bitten und ebenso wenig die anderen Mädchen. Plötzlich hatten alle ihre Kissen in der Hand und suchten mit wild funkelnden Augen nach lohnenden Zielen.
Kurz bevor es dann richtig losging, blickte Anne zufällig zum Speiseraum herüber. Dort in der Türöffnung stand die Krähe und schaute ihnen tatsächlich milde lächelnd zu. Dann schloss sie die Tür unauffällig. Sie gönnte ihren Schützlingen offensichtlich diesen Moment der unbeschwerten Ausgelassenheit. Als Anne das sah, stürzte auch sie sich juchzend splitternackt und kissenschwingend in das Getümmel.
Plötzlich aber packte sie jemand von hinten und ließ sich mit ihr auf ein Bett fallen. Rücklings lag sie halb neben, halb auf der unbekannte Angreiferin. Dann spürte sie Daschas Stimme am Ohr. Schon der säuselnde, kehlige Klang reichte aus, sie mit einer Zorneswelle zu überfluten. So leise, dass niemand anders es hören konnte, flüsterte Dascha: „Du gehörst auch dahin, wo deine fette, dumme Freundin hinkommt. Aber eine echte Freundin bist du ja gar nicht. Sie ist dir scheißegal. Hauptsache du hast hier deinen Spaß, nicht wahr?“
Da schlug Anne zu.
Sie rammte Dascha ihren Ellenbogen in die Rippen. Dann wirbelte sie herum. Daschas Gesicht war schmerzverzerrt. Ihrem Kampfeswillen aber tat dies keinen Abbruch. Mit ihrer linken Hand krallte sie sich in Annes Haaren fest. Ihre rechte Hand versuchte, Annes Nasenring zu packen, und Sekundenbruchteile später kugelten zwei kreischende, raufende und splitterfasernackte Furien über den Boden des Schlafsaales.
Später konnte sie sich nur schemenhaft an alles erinnern. Ein blutroter Nebel aus Raserei schien das Geschehnis verschluckt zu haben. Dascha hatte versucht, den Nasenring zu greifen, aber Anne hatte in ihre Hand gebissen und sie nicht mehr losgelassen. Gleichzeitig hatte sie ihre Rivalin ebenfalls an den Haaren gepackt, während sie mit ihrer anderen Hand auf ihren Körper eintrommelte. Sie traf Rücken, Schenkel. Hüfte, Brüste und irgendwie auch einmal die Nase. Dann fand Dascha mit den Nägeln ihrer freien Hand Annes Oberschenkel und hinterließ dort eine tiefe fünfspurige Kratzspur. Das tat höllisch weh, und Anne lockerte vor Schmerz ihren Griff. Dascha entwand sich ihr, allerdings nur, um sich sogleich wieder auf sie zu stürzen. In rasender Wut prallten sie wieder zusammen, und dann kam mit durchdringendem Zischen der Feuerlöscher zum Einsatz.
Die Flut des weißen Schaumes erstickte den lodernden Zorn und die flammende Wut. Zurück blieben zwei zerschlagene über und über mit Bettfedern und Schaum bedeckte junge Frauen, die auf allen vieren schwer keuchend um Atem rangen. Anne zitterte am ganzen Körper. Ihr war speiübel. Blut lief ihren Oberschenkel herunter. Schwankend setzte sie sich auf. Seltsamerweise fragte sie sich als erstes, wo denn Feuer ausgebrochen sei, als sie die Krähe mit dem Feuerlöscher in der Hand wahrnahm. Nur langsam dämmerte ihr, dass viel Schlimmeres passiert war und dass noch Schlimmeres unweigerlich folgen würde.
Es begann sofort. Dem als sich der Nebel der Raserei langsam lichtete, spürte sie, wie die Hand eines der Engelsgesichter, nach ihrem Glöckchen griff. Es war Daschas Liebling Blau. Er wollte Anne wohl auf diese grobe Art am Nasenring aus Daschas Nähe fortzerren, um seiner Favoritin die wilde Feindin vom Leib zu halten. Es geschah fast reflexartig und war eine reine Angstreaktion, dass Anne auch nach dieser Hand biss. Blau zog sich erschrocken zurück und dann waren plötzlich alle drei Engelsgesichter über ihr. Einer fesselte ihre Hände auf dem Rücken und dann sah sie, dass Blau einen Knebel in der Hand hielt.
Aber nein! Das war doch gar nicht nötig. Sie würde nicht beißen. Sie wusste doch auch nicht, was vorhin in sie gefahren war, aber jetzt war sie wieder normal. Ein braves Mädchen.
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