Ballade der Leidenschaft
seltsam, Ben hier oben in der Sängergalerie anzutreffen. Niemals spielte er auf Galerien, weil es ihm widerstrebte, für Hintergrundmusik zu sorgen. Wenn er seine Laute erklingen ließ und sang, wollte er im Mittelpunkt stehen und alle Blicke auf sich ziehen.
„Ich schwöre dir, Ben, diesen Mann habe ich schon einmal gesehen.“
Beiläufig strich er mit seinem Daumennagel über das Griffbrett. Hinauf und hinab, hinauf und hinab. Rozenn hörte ein leises Klicken. „Ja, da war jemand“, stimmte er zu und zog an ihrem Arm. „Ich habe nicht auf ihn geachtet. Komm, Rose, gehen wir.“
Doch sie rührte sich nicht. Ben log. Wieder verbarg er etwas vor ihr, und das beunruhigte sie. Welche geheimen Interessen verfolgte er? Sie schaute zu ihm auf und hoffte, er würde ihr alles gestehen. Aber sein Gesicht blieb verschlossen, und ihr Mut sank.
Als er sich erboten hatte, sie nach England zu begleiten, war sie sicher gewesen, dass er es tat, weil er einer alten Freundin, die ihm viel bedeutete, einen Gefallen erweisen wollte. Mehr hatte sie weder erwartet noch ersehnt. Und jetzt? Seit der Abreise aus Quimperlé hatten sich ihre Gefühle geändert. Ihr Herz schlug nicht mehr für Sir Richard, und sie bezweifelte, dass sie auch nur einen Kuss des Mannes ertragen würde. Dieser „Freund“, der verführerische Dämon, der vor ihr stand, während das Fackellicht auf seinem pechschwarzen Haar und in den betörenden dunklen Augen glänzte, hatte ihre Träume durcheinandergebracht. Aber der charmante, nichtsnutzige Lautenspieler konnte einfach nicht der Richtige für sie sein!
Mühsam schluckte sie und schüttelte den Kopf. Zu viele Geschichten hatte sie über seine Romanzen gehört. „Ganz bestimmt habe ich diesen Mann schon einmal gesehen, Ben.“ Eine letzte Chance gab sie ihm, sein Geheimnis zu lüften. „Erst in Quimperlé, dann in Hennebont und eben in der Halle. Zweimal – das könnte ein Zufall sein. Aber dreimal?“
Nun zuckte er wieder mit den Schultern und wich ihrem Blick aus. „Wahrscheinlich ist er wegen des Pferdemarkts hier. Der lockt, wie du siehst, zahlreiche Leute aus allen Teilen des Herzogtums an.“
Der Fackelschein flackerte, Ben bewegte sich, sein Gesicht geriet in den Schatten. Nicht dass sie etwas erkannt hätte, selbst im hellen Licht der Mittagssonne, denn seine Miene blieb undurchdringlich.
Klick, klack – sein Daumennagel glitt erneut über das Griffbrett der Laute, und die Saiten bebten. Schimmernd fingen sie das Fackellicht ein.
Mehrere Gedanken gingen ihr durch den Sinn, scheinbar zufällig. Trotzdem schienen sie zusammenzuhängen. Wenn sie bloß wüsste, auf welche Weise … Plötzlich stockte ihr der Atem. In Hennebont, im Schlafgemach, waren Bens Sachen verstreut gewesen. Und im Waldlager war er überfallen worden.
Nicht nur er … Gien, beim Stall in Hennebont. Und heute Abend, im Turmzimmer …
Zwischen diesen Ereignissen musste es einen Zusammenhang geben. Aber so sehr sie sich auch den Kopf zerbrach, sie fand keinen. Wie ein Flickenteppich erschien ihr das alles, doch sie entdeckte kein System darin. Noch etwas fiel ihr ein – Giens Tunika sah der von Ben ähnlich …
Sie trat näher zu ihm und spürte die Wärme seines Körpers. Mit der unverletzten Hand strich sie über seinen Kopf, das kürzere Haar im Nacken. Dort verweilten ihre Finger. Sie liebte sein seidiges Haar. „Im normannischen Stil geschnitten“, murmelte sie. „Wie Giens Frisur. Auch die gleiche Farbe.“
Seine Verwirrung war nur gespielt. Das merkte sie. Er legte die Laute auf den Stuhl und umschlang Rozenns Taille. „Was meinst du?“, fragte er lächelnd.
Sie erwiderte das Lächeln, denn sein Gesicht wirkte nicht mehr verschlossen. Er spielte ihr etwas vor. Es gab einige Dinge, die er ihr verheimlichte. Aber eins stand zweifelsfrei fest – er wollte sie küssen. Er konnte den Blick nicht von ihrem Mund lösen, schlang die Arme um ihre Hüften, drückte sie an seine und rief köstliche Gefühle in ihrem Inneren hervor. Eine solche Wirkung hatte kein anderer Mann jemals auf sie ausgeübt. Dabei berührten seine Lippen ihre noch nicht einmal …
Langsam neigte er den Kopf herab. Sein Gesicht näherte sich ihrem. Beinahe vergaß sie ihren Ärger über seine Heimlichtuerei … Sie wünschte, er wäre ihre Eskorte und sonst nichts. Ja, das war es, nur um sie sollte er sich kümmern, um nichts anderes auf der Welt. Genauer gesagt – sie ersehnte, was ihr Herz schon immer gewollt hatte. Doch sie
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