Ballade der Liebe
hatte. Sie schluckte. „Nun ja, ich kam nach London, weil mein Vater als Musiker hier arbeitet.“ Sie wandte den Blick ab. „Anfangs konnte er es sich nicht leisten, mich bei sich aufzunehmen, aber dann verschaffte mir Mr. Hook das Engagement in Vauxhall.“ Das war eine knappe Kurzfassung ihrer Geschichte, das Wichtigste ließ sie unerwähnt. „Und im Herbst, wenn die Saison in Vauxhall zu Ende ist, suche ich mir ein neues Engagement als Sängerin.“
„Und wo?“, fragte er.
„Ach, irgendwo. Es gibt viele Theater in London.“
„Es gibt auch in Irland Theater“, gab er zu bedenken.
Rose zuckte die Schultern. „Die sind aber nicht mit London zu vergleichen. Hier gibt es das King’s Theatre und Drury Lane und im Sommer Vauxhall. Ich kann überall singen. Meine Mutter ist einmal in King’s Theatre aufgetreten.“
„Wie eindrucksvoll“, meinte er anerkennend.
„So eindrucksvoll war es auch wieder nicht. Sie sang im Chor, aber immerhin stand sie auf der Bühne des King’s Theatre.“
„Haben auch Sie den Wunsch, in King’s Theatre aufzutreten?“
Sie seufzte. „Oh ja, mehr als alles andere. Es muss das schönste Theater auf der ganzen Welt sein.“
Er lächelte. „Ja, es ist sehr schön.“
„Waren Sie schon einmal dort?“, fragte sie aufgeregt.
„Gelegentlich habe ich Lord Tannerton zu einer Vorstellung begleitet.“
„Tatsächlich?“ Sie hätte sich zu gerne den Theatersaal einmal angesehen, die Logen, den Samtvorhang und die Bühne. Sie seufzte wieder.
Flynn lächelte sie immer noch an.
Sie erwiderte sein Lächeln und dachte, wie jungenhaft er doch aussah, wenn er sich entspannte.
Eine Kutsche kam ihnen entgegen, und er konzentrierte sich wieder darauf, die Pferde zu lenken. Beide schwiegen eine Weile.
Schließlich suchte Rose nach einem unverfänglichen Gesprächsthema. „Worin besteht Ihre Arbeit bei Lord Tannerton, wenn ich fragen darf?“
„Ich kümmere mich um viele Dinge.“ Er räusperte sich. „Geschäftliche Angelegenheiten. Ich erledige seine Korrespondenz, treffe Verabredungen, bezahle Rechnungen, mache Besorgungen und Ähnliches.“
„Aha, verstehe.“ In Wahrheit aber wusste sie nicht, welche Geschäfte ein Marquess zu erledigen hatte.
Flynn fuhr fort: „Man könnte sagen, ich kümmere mich um lästige Belanglosigkeiten, damit der Marquess den Kopf frei hat für wichtige Dinge.“
Eine solche Arbeit würde Rose Kopfschmerzen bereiten. „Gefällt Ihnen das, was Sie tun?“
Er nickte. „Durch meine Arbeit habe ich mir einiges Wissen angeeignet. Über politische Zusammenhänge. Über Finanzen. Macht …“
Solche Dinge waren ihr ein Mysterium.
„Durch Lord Tannerton habe ich Wien, Brüssel und Paris kennengelernt.“
Bewundernd sah sie ihn an. „Sie sind weit in der Welt herumgekommen, nicht wahr?“
„Der Marquess ist der Berater bedeutender Diplomaten, und ich helfe ihm dabei.“ Er klang stolz.
Und sein Stolz gefiel ihr. „Waren Sie während der großen Schlacht in Brüssel?“
„Ja, in Brüssel, aber nicht in Waterloo.“ Seine Miene wurde ernst. „Der Marquess war in den Wirren nach der großen Schlacht behilflich, kümmerte sich um Lazarettzelte für die Verwundeten, um die Beschaffung von Medikamenten und Verbandsmaterial und um andere logistische Einzelheiten.“
Rose konnte sich unter logistischen Einzelheiten zwar nichts vorstellen, aber sie wusste, dass es bei der Schlacht furchtbar viele Verwundete gegeben hatte. Auch viele irische Soldaten hatten in Waterloo gekämpft und ihr Leben auf dem Schlachtfeld verloren. Sie war froh, dass Flynn nicht an der Schlacht teilgenommen hatte.
Er lachte trocken. „Aber ich langweile Sie mit solchen Geschichten.“
„Nein, nein“, versicherte sie. „Ich gestehe, dass ich nicht alles begreife, aber Sie waren an wichtigen Orten und haben bedeutende Dinge geleistet.“
„So könnte man es nennen. Ich war mitten im Geschehen, sozusagen ein Teil davon.“
„Ich stelle mir das ein bisschen vor, wie auf der Bühne zu singen. Als einzelner Sänger ist man zwar nicht so wichtig, aber man ist zumindest Teil eines Ganzen. Ich meine, ein Sänger leistet nur einen Beitrag zum Gelingen der Vorstellung. Da sind ja auch noch die Musiker und der Dirigent und das ganze Drumherum. Alles zusammen ergibt ein Ganzes, eine Aufführung, ein Kunstwerk.“
Er sah sie so eindringlich an, dass sie innerlich zu flattern begann. „Ja, genau so ist es. Und es ist ein gutes Gefühl, Teil eines Ganzen zu sein.“
Ein
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