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Ballast oder Eva lernt fliegen

Ballast oder Eva lernt fliegen

Titel: Ballast oder Eva lernt fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mona Jeuk
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Gärtner Boskop an. Sah sie von ferne seine hagere Gestalt, erfüllte stille Freude sie. Der Gärtner lächelte, und immer schenkte er ihr seine Zeit. Auch gab es stets etwas, das er ihr zeigen wollte: Seltene Blumen, unscheinbar zumeist, und tauglitzernde Spinngewebe. Des Gärtners Augen lehrten sie zu sehen, was es an Wundern gab in seiner Welt. Sie aber lauschte seiner Stimme und stahl sich heimlich kleine Fleckchen Heimat.
    Da war der Tag, an dem er ihr die Larve zeigte, die tote Hülle, festgekrallt an einem Binsenhalm. Daneben hing, noch feucht, eine Libelle. Ihr Körper schillerte in Gelb und Grün und Blau. Es war ein Gegensatz, wie er nicht konnte größer sein. Und Eva fand sie hässlich, diese braune Hülle mit ihren tödlich leeren Augenblasen und ihren Stummelflügeln, hingestutzt zu Krüppelgliedern, gleich Fittichen gefallener Engel.
    Wie könne, fragte Eva, etwas so Scheußliches solch makellose Schönheit in sich bergen? So fragte sie im Glauben, dies sei, was er ihr habe zeigen wollen.
    Doch Boskop lachte leise. Er wies ins klare Wasser, aus dem die schlanke Binse sich erhob. Es tummelten darin sich viele Larven.
    „Man nennt sie Wasserjungfern, weil sie so voller Anmut sind.“ So sprach der Gärtner und beschämte sie. „Entsteht die Hässlichkeit nicht erst im Auge des Betrachters? Sie ist ein Urteil, keine Eigenschaft.“
    In Boskops Stimme schwang kein Vorwurf mit. Er sah, mit schiefgelegtem Kopf und Lächeln in den Augen, in Evas fragendes Gesicht. Die biss sich auf die Lippen, bestrebt, ihn zu verstehen.
    „Die schillernde Libelle“, erklärte Boskop ihr, „hat ihre Larvenhülle abgestreift. Doch ist und war sie stets dasselbe kleine Wesen.“
    Da kam ihr leuchtend die Erkenntnis: Sie selbst war es, von der er sprach. Sie war dieselbe und war doch verwandelt.

    Am selben Abend tauchte in der Sporthalle die erste Journalistin auf. Eva war nachdenklicher als sonst, die Libelle ließ ihr keine Ruhe und Boskops Stimme hallte seit Stunden in ihr nach. Als eine junge, überlegen dreinblickende Frau in aggressivem Tonfall fragte, weshalb Eva glaube, anderen sagen zu können, was gut für sie sei, antwortete sie zerstreut, man lasse sich leicht täuschen, solange man nur das Äußere wahrnehme.
    Die Frau stutzte, schnaubte dann vernehmlich. Das brachte ihr Evas volle Aufmerksamkeit ein. Mit kühlem Blick maß sie die unbekannte Angreiferin, die mit Wasserstoffperoxyd, Mascara und Augenbrauen-Piercing davon abzulenken suchte, dass ihre Nase ungewöhnlich groß war.
    Wenn eine Larve sich zur Libelle verwandle, oder eine Raupe zum Schmetterling; wenn eine Kaulquappe ihre Metamorphose durchmache: Ob sie glaube, dass diese dadurch zu anderen Lebewesen würden? Eva hielt kurz inne, dann setzte sie schneidend nach: Wenn sie sich eine hübsche, kleine Nase machen ließe: Ob sie dadurch ein anderer Mensch würde?
    Die Wasserstoffblonde schnappte nach Luft und setzte zu einer heftigen Erwiderung an. Eva betrachtete sie mit neugierigem Interesse. Sie musste unbewusst den Finger in eine schwärende Wunde gelegt haben.
    Natürlich glaube sie das nicht!, versetzte die Frau trotzig und schien ganz zu vergessen, dass außer ihr und Eva fast zweihundert ihr wildfremde Menschen anwesend waren und die Ohren spitzten. Sie sei es leid, von Menschen mit hübschen, kleinen Nasen angestarrt zu werden und sich von eben diesen Leuten anhören zu müssen, ihre eigene Nase sei doch ganz okay. Es sei doch wohl ihre eigene Entscheidung und ginge weder ihren Mann noch Eva etwas an. Natürlich wäre sie danach immer noch dieselbe, aber...
    Eva schnitt ihr mit gellender Stimme das Wort ab und alle Anwesenden duckten sich erschrocken. „Oh nein!“, rief sie, „Sie wären eine andere! Eine, die sich die Nase hätte verkleinern lassen aus Angst, nicht schön genug zu sein! Eine, die sich nach Liebe und Anerkennung sehnte, stattdessen aber eine neue, fremde Nase bekommen hätte! Eine, die sich selbst verraten hätte!“
    Knisternde Stille folgte diesem Ausbruch.
    „ Glaubt ihr“, rief Eva in die Halle, „eine Schönheitsoperation ist dasselbe wie die Metamorphose einer Libelle? Entscheidet die Larve sich etwa für eine neue Erscheinungsform, weil ihr die alte nicht mehr gefällt? Oh nein, sie wird zu dem, was sie schon immer in sich trägt.
    Wenn ihr versucht, euch nach dem Wunschbild zu formen, das ihr selbst von euch habt oder das andere von euch haben, dann entfernt ihr euch von eurem wahren Selbst. Eine Metamorphose, eine

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