Bangkok Tattoo
reagiert das Gewerbe mit Entrüstung; das gesamte Soi-Cowboy-Viertel ist mobilisiert; kein farang kommt hier durch, ohne eine Petition zu unterzeichnen. Pisits erster Gast ist eine katoy aus den Bars. Lek lauscht fasziniert.
Die katoy erklärt mit tiefer Stimme, daß sie den Staat auf Übernahme ihrer Operationskosten verklagen und Schadenersatz für die Zerstörung ihres Lebens verlangen will, denn sie hat sich den Fortpflanzungsapparat aus rein wirtschaftlichen Gründen entfernen lassen. Sie wuchs mit fünf Schwestern und einem Bruder als Junge in Isikiert auf, einer der ärmsten Regionen des Nordostens. Ihre Mutter ist am grauen Star erblindet, die Gesundheit ihres Vaters vom täglich zwölfstündigen Schuften in tropischer Hitze auf den Reisfeldern ruiniert, ihre Schwestern haben alle Kinder von saufenden Thais, die keinen Unterhalt zahlen, und außerdem hätten die Mädchen aufgrund ihres Aussehens wahrscheinlich sowieso keinen Erfolg im Bangkoker Gewerbe gehabt. Ihr einziger Bruder ist mongoloid und muß ständig beaufsichtigt werden. Als attraktivstes der Kinder wurde sie selbst von der Familie einstimmig dazu erkoren, in der großen Stadt für die Lösung der finanziellen Probleme zu sorgen. Sie liehen sich, soviel sie konnten, und legten für die Operation, die sie in eine der verführerischsten Nutten Bangkoks verwandelte, alles zusammen, was sie besaßen. Es handelte sich um eine einmalige, höchst riskante Investition, die nach einer schmerzlichen Anfangszeit gerade beginnt, Profit abzuwerfen. Und nun sabotiert der Staat diesen Erfolg durch die Vorverlegung der Sperrstunde. Jedermann weiß, daß den Löwenanteil des Geschäfts die Zeit zwischen Mitternacht und zwei Uhr früh ausmacht, wenn die Gegenwehr der Freier durch ausreichend Alkohol und die Bemühungen fast nackter junger Frauen (oder katoys) zu wanken beginnt. Welcher Wahnsinnige in der Regierung ist nur auf diese Schnapsidee verfallen? Offensichtlich sind den Herren die Armen egal. Wird sich der Innenminister um ihre Familie kümmern, wenn sie kein Geld mehr nach Hause schicken kann?
Pisit wendet sich meiner Mutter zu, die wenig Ermunterung zum Sprechen braucht:
Der Staat dreht nicht nur der Gans, die die goldenen Eier legt, den Hals um, sondern gräbt auch dem einzigen in dieser Feudalgesellschaft existierenden Geldverteilungssystem das Wasser ab. Die gegenwärtige Regierung besitzt einfach keinen gesunden Menschenverstand. Glaubt sie denn ernsthaft, daß wir zu Wohlstand gelangen, wenn wir so steril werden wie der Westen? Ich bin schon in Paris, Florida, München und London gewesen – das sind alles Museen, bevölkert von Geistern. Seien wir ehrlich: Die Leute in Isaan konnten in den letzten drei Jahrzehnten doch nur mit Hilfe des Geldes überleben, das ihnen ihre Töchter von Bangkok nach Hause schickten. Es gibt Orte, Straßen, Geschäfte, Farmen, Wasserbüffel, Autos, Motorräder und Tankstellen, ganze Industrien, die ihre Existenz unseren Mädchen zu verdanken haben. Diese mutigen jungen Frauen sind die Essenz des Weiblichen, die das Leben am Leben erhält. Mit ihrer Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft stehen sie für alles Großartige des Thai-Wesens. Sie betteln nicht um Hilfe oder Dankbarkeit, sie erwarten keine Bewunderung. Den Wunsch nach Achtung haben sie schon vor Jahrzehnten aufgegeben. Trotzdem sind sie das Herz unseres Landes.
Pisit: Wie sehr wird die Haltung unserer Regierung Ihrer Meinung nach durch die westlichen Medien beeinflußt?
Nong: Keine Ahnung, was das westliche Fernsehen ohne südostasiatische Bordelle machen würde, auf die es seine Kameras richten kann. Natürlich wird unsere Regierung durch die Medien beeinflußt, aber den Sendern geht’s im Endeffekt nur darum, die Einschaltquoten zu erhöhen. Sie machen sich nicht die Mühe, uns wirklic h zu verstehen. Was soll man tun? Das ist nun mal die Ersatzmoral des Westens.
Pisit: Wird durch die aktuellen Entwicklungen das Ende der Sexindustrie in Thailan d eingeläutet?
Nong: Das glaube ich nicht. Schließlich ist sie seit fast hundert Jahren illegal, und schauen Sie nur, was wir trotzdem erreicht haben. Außerdem darf man die Investitionen des Westens nicht vergessen, weil das Profitpotential bei einer gutgeführten Go-go-Bar meiner Ansicht nach einfach höher ist als bei General Motors. Unsere Mädchen verlangen einen weit niedrigeren Stundenlohn als in den meisten anderen Ländern, obwohl sie zu den begehrtesten Frauen der Erde gehören. Die Sätze haben
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