Beautiful Americans - 01 - Paris wir kommen
jede Menge Fotos von Thomas in dem Apartment, aber was auf den Schulbildern wie schüchterne Trotteligkeit aussieht, scheint in Wirklichkeit genau Thomas' Charme auszumachen. In seinem grauen Dufflecoat und der pechschwarzen Cordhose entspricht er dem typischen Bild eines Wissenschaftlers: zerstreut, praxisfern, süß. Sein Gesicht ist so zart und niedlich, dass es fast schon hübsch ist. Seine lockigen Haare lassen ihn etwas jünger aussehen als einen Uni-Studenten, eher so, als wäre er in meinem Alter. Mit der freien Hand, in der er nicht das Fahrrad trägt, nimmt er meine Bücher.
»So. Wollen wir einen Tee zusammen trinken, ja?«, bietet er an und hält mir galant die Tür zu meinem - na ja, unserem Apartment auf.
* * *
Wie sich herausstellt, würde Thomas lieber zu Hause lernen als in der Uni. »Im Studentenwohnheim kann ich mich einfach nicht konzentrieren«, vertraut er mir an. »Wir diskutieren dort die ganze Zeit nur über Philosophie und schreiben nie an unseren Seminararbeiten. Ich komme hierher, damit ich endlich mal in Ruhe lernen kann!«
Ich lächle höflich. In Wahrheit habe ich mich noch nie sehr für die Schule interessiert, im Prinzip eigentlich immer nur dafür, dass ich die 3,6 GPA bekomme, die ich für mein Stipendium brauche. Wertvollen Schlaf zu verlieren, nur um über den Sinn des Lebens zu diskutieren, erscheint mir völlig überflüssig.
»Maman sagt, dass du eine wundervolle Tänzerin bist. Sie hat mir erzählt, dass sie bei deinem ersten Vörtanzen damals zugesehen hat«, sagt er, als er Wasser für den Pfefferminztee aufsetzt. »Elle m'a dit que tu es tres douee.«
Sie hat ihm wirklich erzählt, dass ich sehr begabt bin? Bei diesem Kompliment werde ich ganz rot. Dabei weiß ich eigentlich gar nicht, warum es mir so viel bedeutet, schließlich kommt es von jemandem, den ich kaum kenne. Ich fühle mich so seltsam, ich kann irgendwie gar nicht aufhören, auf seinen Mund zu schauen. Aber er ist der erste Mensch - abgesehen von unseren Lehrern -, der ab und zu französisch mit mir spricht!
An diesem Abend zieht mich Thomas auf, als ich aus meinem - seinem - Zimmer komme, um aufs Klo zu gehen.
»Es war so ruhig in der Wohnung, dass ich schon dachte, du wärst eingeschlafen!«, neckt er mich von der Couch aus, wo er sich gemütlich eingerichtet hat. »Deine Freitagabende sind echt ziemlich aufregend, Olivia.«
»Ich habe gelernt«, informiere ich ihn. »Wir haben zum Halbjahresende einen großen Test, wegen dem ich ziemlich nervös bin. Und da habe ich mir noch mal alle unregelmäßigen Verben angesehen und die ganzen Tempi und alles -«
»Du lernst still in deinem Kämmerlein Französisch, ganz allein, wenn doch direkt vor deiner Tür Frankreich liegt? Du hast mit dir selbst französisch gesprochen, statt mit allen französischen Bürgern, die du kennenlernen könntest? Dazu bräuchtest du nur deine Bücher zuzuschlagen und dich ins Leben zu stürzen.« Thomas' Französisch klingt melodiös, als er mich so liebevoll aufzieht.
»Du findest also, ich sollte an einem Freitagabend ausgehen, um den Test zu bestehen?«, frage ich in meinem besten Französisch. Dann füge ich auf Englisch hinzu: »Von wegen! Du spinnst ja.«
»Ich sag doch bloß, dass es nicht schaden könnte, es ein bisschen mehr zu praktizieren«, entgegnet er.
Unsicher, was ich darauf erwidern soll, gehe ich zurück in mein Zimmer.
Mme. Rouille, mit ihrer herben, liebevoll-strengen französischen Art mir gegenüber, hat mich seit meiner Verletzung nicht allzu sehr verwöhnt. Ich hatte ihr erzählt, ich wäre die Treppe runtergefallen, als ich mit Zack im Kino war, aber ich merke, dass sie mir das nicht abnimmt. Mal abgesehen davon, dass sie mir meine Gassigänge mit den Zwergpudeln erlässt, bedient sie mich nicht gerade von vorn bis hinten. Ganz im Gegensatz dazu, wie sie es macht, wenn ihr geliebter Thomas kommt. Dann weist sie Elise immer sofort an, sables au citron zu backen, Thomas' Lieblingsgebäck, und jeden Abend, bevor er wieder zur Sorbonne aufs linke Seine- llfer rüberfährt, reichhaltige und nahrhafte pot-au-feu zu kochen.
Während seiner einwöchigen Semesterferien kommt Thomas täglich im Apartment vorbei. Ich frage ihn nicht, warum er nicht einfach in die Bibliothek der Sorbonne geht. Vielleicht ist die ja in den Ferien geschlossen. Aber so, wie Mme. Rouille um ihn herumwuselt, ist es auch kein Wunder, dass er die Bücher lieber an Mamas Küchentisch aufschlägt. Sie ist ganz aus dem Häuschen,
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