Bedroht
hatte.
»Eine Leserin«, sagte diese. »Es ging um ein Rezept. Ich habe die Nummer notiert.«
Anna warf einen raschen Blick auf die Nummer. Es war nicht seine. Erst an ihrer Erleichterung merkte sie, wie angespannt sie gewesen war. Sie griff zu ihrem Hörer und rief unten bei Renée am Empfang an.
»Hallo. Hier ist Anna. Kannst du alle Anrufe, die für mich sind, abwimmeln? Hier ist gerade wahnsinnig viel zu tun. Danke.«
Sie legte auf und kehrte zu Sissela und Trude zurück.
41
Kathrine dachte aus Prinzip erst einmal gut von anderen Menschen. Der Umstand, dass die Mehrheit der Bevölkerung zumindest mental in einem parallelen, von der Revolverpresse gestalteten Universum zu leben schien, in dem alle Fremden potenzielle Gewalttäter waren, zumindest bis das Gegenteil bewiesen werden konnte, gefiel ihr ganz und gar nicht.
Die Unruhe ihrer Tochter wurde verständlicherweise von ihrem schlechten Gewissen verstärkt. Sie hatte ihren Mann betrogen und es auch noch genossen. Jetzt wollte sie ihre Sünde so schnell wie möglich vergessen, dummerweise hatte der Junge sich in sie verliebt.
Das konnte böse enden. Aber Kathrine war noch nie jemandem begegnet, mit dem sich nicht hätte reden lassen. Angst war das Einzige, wovor man Angst haben musste, und diesen Weg gedachte sie gar nicht erst einzuschlagen. Sie hatte Freundinnen, die sich so sehr in das Elend der Welt hineinsteigerten, dass sie ihre Wohnungen kaum noch zu verlassen wagten.
Erik Månsson tat Kathrine fast ein bisschen leid. Was für ein Schicksal: ein Vater, der sich verdünnisiert hatte, und eine Mutter, die früh gestorben war.
Erik hatte Anna erzählt, seine Mutter habe sich das Leben genommen, im nächsten Augenblick aber behauptet, das sei nur ein Scherz gewesen. Vielleicht war die junge Mutter ja psychisch krank gewesen, und das war ihm unangenehm. Das würde auch erklären, warum Erik mit über zwanzig noch bei ihr gewohnt hat.
Wie sollte es jetzt weitergehen? War es ratsam, Erik Månsson aufzusuchen und ihn zur Vernunft zu bringen? Und was sollte sie in diesem Fall sagen?
»Ich verstehe, dass Sie sich in meine Tochter verliebt haben, sie ist eine fantastische Frau. Jetzt ist es aber leider so, dass sie bereits einen Mann hat und mit ihm zusammen eine Tochter, die sie beide sehr lieben. Deswegen bitte ich Sie, die Sache auf sich beruhen zu lassen und woanders Ihr Glück zu suchen.«
Wie pathetisch. Kathrine, die Gewissenspolizistin, die Beschützerin der Guten, die Gesetz und Ordnung aufrechterhielt.
Sie gegen das Phantom.
Dass sie außerdem im Leben wildfremder Menschen herumgeschnüffelt hatte, konnte sie niemandem erzählen. Niemals.
42
Nach der Besprechung des Layouts fand die Redaktionskonferenz statt. Alle Mitarbeiter versammelten sich in der Sitzecke, um den Inhalt der nächsten Ausgaben zu besprechen. Es wurden Meinungen und Vorschläge gesammelt, die in der Praxis von den immer selben Leuten kamen und selten Neues brachten. Ansonsten diente die Versammlung vorrangig als Kummerkasten für die Angestellten und um ihnen den Eindruck zu vermitteln, dass sie mitreden durften.
Nach der Besprechung kehrten alle an ihre Schreibtische zurück und schauten auf ihre Armbanduhren und Handys. Wie lange war es noch bis zum Mittagessen? Hatte jemand in der halben Stunde, die seit dem letzten Blick auf das Display vergangen war, angerufen?
Anna sah auf ihr Telefon. Das rote Lämpchen der Voicemail blinkte nicht. Sie schaute auf ihr Handy, ohne es aus ihrer Handtasche zu nehmen. Auch hier nichts. Sie öffnete die Mailbox. Eine Handvoll neue Mails, alle geschäftlich, nichts von Erik.
Hatte er endlich eingesehen, dass es so nicht weitergehen konnte?
Sie konnte ja verstehen, dass er aufgebracht war. So abserviert zu werden war sicher kränkend. Und dass sie die Regeln diktierte. Sie beschloss, ihn anzurufen, damit er sich ohne Gesichtsverlust aus der Affäre ziehen konnte.
Sie ging auf die Toilette und schloss die Tür hinter sich ab. Seine Nummer konnte sie aus dem Gedächtnis. Nach viermaligem Klingeln sprang sein AB an.
»Hallo, Erik. Ich bin es. Ich habe deine Mail erhalten. Du schreibst, dass wir nicht als Feinde auseinandergehen sollten. Ich bin deiner Meinung. Und es tut mir wahnsinnig leid, wenn ich dich verletzt habe. Das war nicht meine Absicht. Ich versuche später noch einmal, dich zu erreichen. Es ist besser, wenn ich dich anrufe. Ich habe jetzt ein Meeting und bin immer von Leuten umgeben.«
Sie legte auf. War das
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