Bedrohung
Zelle vorzuziehen war. Außerdem genoss er die Möglichkeit, sich die Beine zu vertreten, herumzugehen und nachzudenken, selbst wenn er nur im Kreis lief. Zum ersten Mal seit der Attacke von Eric Hughes gestattete man ihm das. Hughes dagegen befand sich in einem anderen Trakt nach wie vor in Einzelhaft, weil er sich mit einem Messer bewaffnet hatte.
Eine weitläufig von Tischen und Stühlen umgebene Tischtennisplatte bildete den Mittelpunkt des Freizeitbereichs, in dem die Häftlinge sich die Zeit vertreiben konnten. Devereaux saß bereits an einem der Tische, die am weitesten von den beiden Wärtern entfernt standen. Devereaux war außergewöhnlich muskulös und strahlte eine Intensität aus, die die meisten Häftlinge und auch die Wärter auf Distanz hielt. Das Totenkopf-Tattoo, das sein Gesicht zierte, und seine glühenden Augen ließen ihn wie eine Kreatur aus einem Horrorfilm erscheinen, die jederzeit explodieren konnte. Während viele Häftlinge eine Show abzogen, war bei Devereaux alles echt. Der Richter, der ihn verurteilt hatte, hatte ihn als das »reine, ungetrübte Böse« bezeichnet. Wegen des Mordes an zwei minderjährigen Prostituierten, die er vor zehn Jahren entführt, vergewaltigt und teilweise aufgegessen hatte, verbüßte er eine lebenslange Freiheitsstrafe und hatte keine Aussichten, je wieder entlassen zu werden.
Fox nickte einem der Häftlinge zu, einem Suprematisten aus dem »arischen Widerstand« namens Lenny, der gerade Tischtennis spielte. Ein wahres Lämmchen, dem der Knast sämtliche Härte ausgetrieben hatte. Dann ging er zu dem Tisch, an dem Devereaux mit einer unangezündeten Zigarette im Mund saß.
»Hast du auch eine für mich?«, fragte Fox, der aus schierer Gefängnislangeweile wieder bei zehn Zigaretten pro Tag angelangt war.
»Sicher«, ächzte Devereaux und stellte eine Blechbüchse mit Selbstgedrehten auf den Tisch.
Fox beugte sich vor und nahm eine.
»Alles bereit?«, flüsterte er.
»Alles klar«, erwiderte Devereaux. »Um wie viel Uhr noch mal?«
Wenn er sprach, schien es, als kämen die Wörter aus dem Totenkopf-Tattoo.
»Punkt 18:45 Uhr«, sagte Fox, fast ohne die Lippen zu bewegen.
Er stand auf und entfernte sich gemächlich. Während er die Zigarette zwischen die Lippen steckte, lächelte er über die Ironie, dass das Rauchen in öffentlichen Gebäuden verboten war, Häftlinge aber nach wie vor in ihren Zellen paffen konnten, so viel sie wollten. Sobald er draußen war, würde er wieder aufhören.
Und das sollte, wenn alles nach Plan lief, nur noch ein paar Stunden dauern.
27
15:29
»Verdammt, was glaubst du, wer du bist?«, schrie Bolt Tina an. »Was hast du da drinnen gemacht?« Doch in seiner Stimme lag mehr Verzweiflung als Wut. Sie standen immer noch auf der Straße, wenige Meter von Brozis Haus entfernt und knapp außer Hörweite der zehn, zwölf Polizisten, die dabei waren, die Straße abzusperren. Brozi saß bereits in einem Gefangenentransporter.
»Ich hatte dir gesagt, du sollst sofort das Haus verlassen. Das war eine einfache Anordnung, und du hast sie ignoriert.«
Tina rang nach Atem, saugte die Luft tief in ihre Lungen. Ihr Herz hämmerte immer noch – die Wirkung des Adrenalins war noch nicht verflogen. Ein leichter Schwindel überkam sie. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und hoffte, sie würde keinen Schock erleiden. Selbst sie, die unzählige Male auf der falschen Seite einer Pistole gestanden hatte und bereits zweimal angeschossen worden war, empfand es nach wie vor als eine schreckliche Erfahrung, mit einer auf den Kopf gerichteten Pistole bedroht zu werden – denn wenn Brozi abgedrückt hätte, wäre sie höchstwahrscheinlich tot gewesen. Bereits drei Mal in ihrer Karriere hatte sich ihre Wut und Enttäuschung bis zu einem Grad gesteigert, dass sie sterben wollte, sie war damals unfassbare Risiken eingegangen, schlicht weil sie sich nicht um die Folgen scherte. Doch heute war es anders.
»Bist du okay?«, fragte Bolt und legte ihr die Hand auf die Schulter, während sich sein Frust in Besorgnis verwandelte.
»Mir geht’s gut«, entgegnete Tina trotzig und stieß seine Hand weg. Sein Mitleid war das Letzte, was sie im Augenblick gebrauchen konnte. »Ich wollte nur noch seinen PC checken und einen Keylogger installieren.«
»Tja, damit hättest du uns fast umgebracht, Tina. Kapierst du das? Oder ist es dir egal?«
»Natürlich ist es mir nicht egal, aber ich habe lediglich meinen Job getan.«
Sie fummelte ein
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