Bedrohung
die intellektuelle Elite stellen, die sie unterstützte. Dieses Ziel hatte er fest im Blick, seit er sich der dubiosen Truppe, die sich die Bruderschaft nannte, angeschlossen hatte. Die meisten ihrer Fußsoldaten waren bei dem Anschlag auf das Stanhope ums Leben gekommen, weshalb sie jetzt nur noch wenige waren. Doch das spielte keine Rolle mehr.
Denn nach den heutigen Anschlägen würde ihre neue Strategie auf fruchtbaren Boden fallen. Garth Crossman, ihr Anführer und Finanzier, der selbst seine geliebte Ehefrau zu beklagen hatte, würde sich dazu entschließen, in die Politik zu gehen, und sich auf einer Welle öffentlicher Empörung an die Spitze einer neuen politischen Bewegung setzen, die einen radikalen Wandel versprach.
Cain lächelte in sich hinein. Crossman war schon eine beeindruckende Figur. Nach außen hin schien er ein netter Kerl zu sein. Einer, der ernsthaft etwas verändern konnte. Und bis die Menschen merkten, wie er wirklich war, würde es zu spät sein.
Denn nur zwei Männer kannten Crossmans wahre Identität. Einer davon war Cain. Und der andere war William Garrett, Codename Fox.
Und um den würden sie sich noch früh genug kümmern.
Plötzlich bog fünfzig Meter vor Cain ein Streifenwagen in die Straße ein. Er fuhr langsam, als würden seine Insassen Ausschau nach etwas halten.
Cain duckte sich hinter einen geparkten Lieferwagen und beobachtete, wie der Wagen an ihm vorbeiglitt und in der Nähe des eben abgestellten Audi anhielt. Dann fuhr er etwa zehn Meter weiter und manövrierte in eine Parklücke, wo er stehen blieb, ohne den Motor auszuschalten. Gleichzeitig kam aus der entgegengesetzten Richtung ein zweiter Streifenwagen und stoppte neben dem ersten.
Cain, der dies nicht für einen Zufall hielt, blieb gebückt und lief vorsichtig, die parkenden Autos als Deckung nutzend, davon. Schließlich erreichte er eine schmale Gasse. Er bog ab und sprintete sofort los.
Jemand hatte sie verraten.
Und das konnte nur einer gewesen sein.
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19:07
In der letzten halben Stunde hatte ich zweimal mit Bolt gesprochen, und nach jedem Anruf nickte ich dem Wirt zu und orderte ein frisches Bier.
Die Gespräche waren jeweils kurz und fast surreal verlaufen. Er hatte mir jede Menge Fragen zu der Stinger gestellt, und ich musste ihm antworten und gelegentlich sogar laut brüllen, um den alkoholgeschwängerten Lärm an der Bar zu übertönen. Abhörsicher konnte man das kaum nennen, aber verzweifelte Zeiten erforderten verzweifelte Maßnahmen. Zum Glück war Bolt mehr an allen möglichen Details interessiert, statt zu fragen, wie wir in den Besitz der Rakete gekommen waren. Wie sah die Kiste aus, in der sie transportiert wurde? Wie groß war sie? Wo genau hatte ich den Sender in Cains Audi platziert? Solche Fragen.
Ehe er den letzten Anruf beendete, sagte er mir, sobald er ein CTC -Team loseisen könne, würde er es losschicken, um mich aus dem Pub abzuholen. Doch langsam wurde ich ungeduldig. Die Bar war ziemlich gut besucht, überwiegend Leute, die von der Arbeit kamen, dazwischen einige faltige Rentner aus der Nachbarschaft. Auf beiden Fernsehern an den Stirnseiten der Bar liefen die Sky News, die endlos dasselbe Bildmaterial über die Bombenanschläge abspulten. Die Zahl der Todesopfer war inzwischen auf zwanzig gestiegen, darunter fünf Polizisten, und ich fragte mich ernsthaft, was Cain und Cecil eigentlich erreichen wollten. Sie hatten fast zwei Dutzend Unschuldige getötet und das Leben von Hunderten anderer zerstört. Wie bei dem Überfall auf das Stanhope. Und wofür das alles? Für ein paar Stunden hysterischer Fernsehnachrichten.
Besonders auffällig fand ich, dass nur eine Handvoll Gäste die Nachrichten überhaupt verfolgte. Die meisten unterhielten sich lautstark, lachten und tranken. Lebten ihr Leben. Die Bomben waren bereits Schnee von gestern. Kein Wunder, denn in der Ära des Internets und der Rund-um-die-Uhr-Nachrichten war die Aufmerksamkeitsspanne drastisch gesunken. Selbst Terroranschläge schienen nicht mehr die gewünschte Wirkung zu entfalten – zumindest nicht auf die Gäste dieses Pubs.
Doch ich wusste es besser. Sie sollten auf der Hut sein und sich fürchten. Eine Stinger-Rakete würde den Blutzoll in ungeahnte Höhen treiben, und wenn Bolt und seine Truppe nicht schnell genug handelten, würde es sehr bald ein Massaker geben, das die Ausmaße von Lockerbie annehmen konnte.
Ich überlegte kurz, Gina anzurufen, um sie zu warnen, aber was sollte ich ihr sagen? Dass
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