Bei Tag und Nacht
aber zweifellos seit heute. Elissa holte tief und bebend Luft. Der Colonel durchschaute sie - sie hatte Angst. Und wie er schon damals erkannte -besonders vor sich selbst.
6
Adrian betrat das Pagodenzimmer, einen gemütlichen Salon, der dem privaten Gebrauch der Herzogin diente. Er war gekommen, weil sie ihn am Nachmittag darum gebeten hatte, und fragte sich, was sie wohl von ihm wollte.
Da saß sie bereits, eine kräftige Gestalt in einem weichen, taubengrauen Kleid, das die Silbereffekte in ihrem einst blonden Haar vorteilhaft betonte. Adrian durchquerte den Raum, doch seine Schritte waren auf dem dicken Teppich kaum zu hören. Im Gegensatz zu den vornehmlich im Rokokostil eingerichteten übrigen Zimmern der Villa war dieses mit Möbeln und Kunstwerken aus Asien bestückt: verschnörkelte chinesische Schalen und Vasen, phantastische Elfenbeinschnitzereien und hohe Paravents aus Teakholz mit Perlmuttintarsien.
Er verbeugte sich förmlich vor der Dame, die ihn in einem Sessel mit hoher Rückenlehne erwartete.
»Euer Gnaden, Ihr wolltet mich sprechen?«
Sie setzte sich noch etwas aufrechter hin und legte den Kopf in einer Weise zur Seite, daß es den Anschein hatte, als blicke sie über ihre Nase nach unten. »Guten Tag, Wolvermont. Ich hoffe, es gefällt Euch in Blauenhaus.«
Mit einem kurzen Nicken setzte er sich in den Sessel ihr gegenüber, auf den sie deutete. »Euer Heim ist wirklich bezaubernd, Euer Gnaden. Und ganz sicher eine entschiedene Verbesserung gegenüber dem Zelt, in dem ich geschlafen habe, bevor ich nach Wien kam.«
»Und Euer Bein? Heilt es?« Sie bedeutete einem Bediensteten, ihm eine Tasse Kaffee zu bringen. Bald wurde eine zarte Porzellantasse mit aromatisch duftendem Mokka auf ein niedriges schwarzes Lacktischchen vor ihn gestellt.
»Recht gut, danke.«
»Wir alle sind Euch sehr verbunden, für Euer heroisches Einschreiten zur Rettung von Lady Ellen und der Gräfin. Der Himmel weiß, was geschehen wäre ohne Euch im richtigen Augenblick!«
»Es tut mir leid, daß die Damen in eine solche Gefahr geraten sind.«
»Tja, mit dem Alter ist man wohl eher darauf gefaßt, daß solche Dinge gelegentlich geschehen.« Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee und betrachtete ihn über den Rand der Tasse, dann stellte sie sie beiseite. »Euer General Ravenscroft spricht höchst anerkennend von Euch, Colonel. Ich dachte, das würdet Ihr gern erfahren.«
Er hob eine dunkle Augenbraue. »Ich fühle mich geschmeichelt, Euer Gnaden, daß Ihr Euch nach mir erkundigt habt. Allerdings frage ich mich, warum Ihr ein solches Interesse für mich an den Tag legt.«
»Ich bin an Euch interessiert, mein Herr, weil Ihr offensichtlich zarte Gefühle für meine Freundin Lady von Langen hegt. Ravenscroft war voll des Lobes für Euch. Er war auch ziemlich direkt in bezug auf Euer Geschick im Umgang mit der Damenwelt. Es hat den Anschein, Colonel Kingsland, als seien Eure Aktivitäten in diesem Zusammenhang allgemein bekannt.«
Adrian nahm einen Schluck Kaffee und genoß das herbe Aroma. »Ein Mann hat seine Bedürfnisse, Euer Gnaden. Aber falls das Eure Sorge sein sollte, werde ich mich gewiß nicht einer Dame aufdrängen.«
Die Herzogin warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Sie ist jung, Mylord. Selbstverständlich wirkt sie recht weltgewandt und selbstsicher; aber ich möchte Euch darauf aufmerksam machen, daß sie einem Mann wie Euch nicht gewachsen ist. Darf ich Euch bitten, das in Erinnerung zu behalten, falls Ihr Eure Aufmerksamkeiten ihr gegenüber fortsetzt!«
»Wie ich schon sagte, dränge ich mich niemanden auf, dem ich unerwünscht bin. Vielleicht würdet Ihr gut daran tun, ein solches Gespräch eher mit General Steigler zu führen. Er scheint sehr viel mehr Zeit mit der Gräfin zu verbringen als ich; und was Damen betrifft, gehört er nicht zu denjenigen, die viel Zurückhaltung dabei üben, sich zu nehmen, was sie wollen.«
Die Herzogin sagte nichts. Von Steigler wußte sie nichts Spezielles, aber angesichts dieser Information wirkte sie keineswegs überrascht. Offensichtlich hatte sie General Steigler ebenfalls bereits im Visier.
»Daran werde ich denken, Colonel Kingsland.«
Adrian entledigte sich seiner Tasse und erhob sich. »Wenn das alles ist, Euer Gnaden ...
Sie betrachtete ihn noch einmal von oben bis unten, als würde sie maßnehmen. »Ihr habt sie gern, nicht wahr?«
Seine Mundwinkel hoben sich sacht. »Ja, das gestehe ich.«
Sie nickte. »Dann könnten wir vielleicht zusammen
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