Bei Tag und Nacht
riskiert, mittels Dreistigkeit womöglich die Schranke zu seinem Vertrauen zu überwinden.
Das könnte ihr auch irgendwie geglückt sein. Vielleicht war deshalb seine Treueerklärung gegenüber Österreich so heftig ausgefallen. Am Ende hatte sie eine kritische Hürde genommen, was sie sich in der Zukunft zunutze machen würde. Doch was immer auch vorlag, der General war kein Mann, der ihrem Willen leicht nachgab. Wenn sie nicht ein Indiz bei ihm fand oder jemand anders ihn der Spionage bezichtigte, würde sie ihn höchstwahrscheinlich nie überführen können.
Elissa schaute hinunter auf die Köstlichkeiten, die jetzt auf ihrem Teller zusammenschrumpften. Ihr Magen drehte sich vor Unbehagen, und sie erhob sich. Der Nachmittag war kühl geworden, und die grauen Wolken dichter. Trotzdem gefiel ihr der Aufenthalt, und da der General nun einmal fort war, konnte sie es sich die restliche Zeit hier wohl sein lassen. Sie hob ihren gelben Strohhut auf, zog ihre Stola fester um die Schultern und machte sich auf den Weg in Richtung Weinberge, entschlossen, sich noch etwas zu bewegen, bevor die Picknickgesellschaft den Rückweg antrat.
Nach einer dreistündigen Kutschfahrt von Wien kam Adrian mitten am Nachmittags in Blauenhaus an. Als er die Räume absuchte nach Elissa, traf er überhaupt niemanden an.
»Ihre Gnaden macht ein Picknick mit den Gästen«, informierte der Butler ihn. »Sie sind noch nicht zurück.«
»Und Lady von Langen? Wißt Ihr zufällig, ob sie auch dabei ist?«
»Jawohl, Herr Baron. Sie fuhr zusammen mit der Herzogin in der Kutsche.«
Er erkundigte sich noch nach dem genauen Ausflugsort und hastete dann hinauf in sein Zimmer, um sich frisch zu machen und umzuziehen - enganliegende braune Reithosen sowie ein weißes Leinenhemd mit weiten Ärmeln. Als er seine hohen schwarzen Stiefel anhatte, griff er nach seinem Rock und war schon unterwegs zum Stall.
Minotaurus wieherte zur Begrüßung, erfreut, seinen Herrn nach Tagen der Abwesenheit wiederzusehen. Ein Bursche hatte ihn schnell gesattelt, und Adrian warf ihm beim Aufsitzen eine Münze zu.
Bald war er aus der Stadt heraus und im Hügelland. Der Himmel hatte sich inzwischen endgültig verdüstert und die Wolkenschicht zusammengebraut.
Als er schließlich bei der Landpartie anlangte, waren die Gäste schon dabei, in die Kutschen zu hasten, weil die ersten dicken Tropfen fielen. Bedienstete sammelten eilig Geschirr und Decken ein, und stopften die Reste der Mahlzeit in Körbe. Adrian ritt an ihnen vorüber und hielt nach Elissa Ausschau, konnte sie aber nirgends entdecken. Er traf die Herzogin auf der Hügelkuppe neben Botschafter Pettigru und dem Diplomaten Robert Blackwood, den Blick auf die Berge gerichtet.
»Colonel Kingsland«, sagte Robert, als Adrian herbeiritt und absaß. »Seid Ihr gerade erst nach Baden zurückgekehrt?«
»Ja, heute nachmittag.«
»Kommt Ihr aus der Villa?« fragte Pettigru in dringlichem Ton, so daß Adrian ihn ansah.
»Warum fragt Ihr?«
»Wir scheinen Lady von Langen verloren zu haben«, erklärte die Herzogin offensichtlich besorgt. »Vor kurzem habe ich sie noch dort drüben mit General Steigler sitzen sehen.«
Als Adrian daran dachte, daß Elissa mit General Steigler Zusammensein könnte, wurde es ihm heiß im Nacken. »Vielleicht ist sie mit dem General zurückgefahren«, meinte er, und seine Zunge fühlte sich plötzlich taub an.
»Das glaube ich nicht«, sagte Blackwood. »Einmal sah ich sie noch, als er schon weggefahren war. Sie wanderte hinüber in die Hügel, zu den Weinbergen.«
Adrian schaute in die Richtung, aber dort befanden sich nur grüne Weinreben, leere Felder und hier und da ein paar Felsbrocken.
»Wir haben die Gegend durchsucht bis hinauf zu der verlassenen Steinhütte oben auf der Hügelkuppe«, setzte Pettigru hinzu, »aber dort war sie nirgends. Zuletzt dachten wir, sie wäre vielleicht bereits in einer anderen Kutsche heimgekehrt.«
In diesem Augenblick flammte ein Blitz auf, und der Donner grollte am Himmel. Adrian schaute hinüber zur Herzogin, die in einer Gruppe von Bediensteten stand, wo ihr einer einen Sonnenschirm über den Kopf hielt.
»Ihr habt sicher recht«, stimmte er zu. »Die Gräfin ist vermutlich, kurz nachdem ich losgeritten bin, in Blauenhaus angekommen und sitzt gemütlich am Kamin.« Aber das glaubte er nicht wirklich. Elissa war sehr rücksichtsvoll, und keinesfalls würde sie der Herzogin unnötig Sorgen bereiten.
Wieder blitzte es, diesmal näher bei ihnen,
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