Belsazars Ende
sein..«
»Eben«, sagte Toppe.
23
Schmitt war neugierig, das war deutlich zu spüren. Er hätte wohl gern mehr über van Veldens Tod erfahren, aber er war klug genug, nicht zu fragen.
»Es fällt mir schwer, Ihnen nicht mehr zu erzählen«, sagte Toppe von sich aus, »aber Sie wissen, daß..«
»Selbstverständlich weiß ich das«, unterbrach ihn Schmitt. »Sie müssen nichts erklären. Aber hinterher, wenn Sie den Fall abgeschlossen haben, da würde ich mich schon freuen, wenn ich ein paar Fragen stellen dürfte.«
»Falls wir den Fall abschließen, ja..«, meinte Toppe, »aber wer weiß, vielleicht können wir ja gemeinsam ein paar Lücken in der Geschichte füllen. Waren Sie eigentlich am 10. November 1988 auch bei dieser Gedenkstunde?«
»Ja, natürlich.«
»Und dort haben Sie Rosenberg wiedergetroffen?«
»Sagen wir besser, ich habe ihn gesehen. Es gab keine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen; er wurde vom Bürgermeister unter die amtlichen Fittiche genommen und von Reportern umlagert. Sie wissen bestimmt, daß es zu einem unangenehmen Zwischenfall kam.«
»Ja«, antwortete Toppe, »aus Zeitungsberichten und von Rambach, einem Journalisten. Aber ich würde die Geschichte ganz gern noch einmal aus Ihrer Sicht hören.«
»Es war eine äußerst peinliche Situation für alle Anwesenden. Rosenberg wirkte während des ganzen Festakts ziemlich unbeteiligt auf mich. Ich stand dicht hinter ihm und hatte den Eindruck, daß er überhaupt nicht zuhörte, sondern seinen Gedanken nachhing. Als van Velden dann ans Rednerpult trat und ein Loblied auf den Widerstand, insbesondere auf den seines Vaters, anstimmte, sah ich, daß Rosenbergs Schultern zuckten. Ich dachte zuerst, daß er weinte, schluchzte, aber dann hörte ich ihn kichern. Und plötzlich brach er in ein schallendes Gelächter aus. Van Velden hörte sofort auf zu sprechen, und das war gut so, denn außer ihm reagierte niemand. Alle starrten betreten vor sich hin. Ich wußte auch nicht, was ich tun konnte.«
»Haben Sie eine Ahnung, warum Rosenberg gelacht hat?«
»Das weiß ich natürlich nicht, ich kann es nur vermuten. Nützen Ihnen denn Spekulationen?«
»Mir kommt es manchmal so vor, als ob fünfzig Prozent meiner Arbeit aus Spekulation besteht«, antwortete Toppe.
Schmitt nickte zustimmend. »In der Zeitung wurde es so dargestellt, als seien Rosenberg unter dem Druck der Erinnerung die Nerven durchgegangen; eine paradoxe Reaktion gewissermaßen. Das klingt ja auch einleuchtend, nicht wahr? Aber ich selbst hatte einen anderen Eindruck. Ich sagte schon, auf mich wirkte er gelangweilt, jedenfalls nicht emotional beteiligt. Erst als van Velden redete, verharrte Rosenbergs Blick am Rednerpult; er schien zuzuhören. Ich hatte das Gefühl, daß seine Reaktion mit van Veldens Ansprache zusammenhing. Gern hätte ich Rosenberg gefragt, mit ihm darüber geredet, aber, wie gesagt, es gab keine Gelegenheit. Als ich zur Gedenkstunde kam, habe ich ihn begrüßt, ihm die Hand gegeben, meinen Namen genannt, aber er hat mich nicht erkannt. Und ich dachte mir, er hat ein Recht darauf, bestimmte Erinnerungen zu vergraben, einzuschließen. Es wäre roh gewesen zu insistieren, in ihn zu dringen.«
»Was für ein Typ ist Rosenberg? Wie sieht er aus?«
»Sehr klein, fast schmächtig. Ein wohlhabender Geschäftsmann, aber von der Sorte, die nicht mehr so recht in unsere Zeit paßt: sorgfältig, aber ein wenig steif gekleidet; sehr zurückhaltend,,vornehm’ wäre vielleicht ein gutes Wort.«
Toppe erzählte, daß er versucht habe, mit Rosenberg zu sprechen, ihn aber unter seiner Adresse in Chicago nicht habe erreichen können.
»Das ist auch nicht möglich. Rosenberg ist gerade auf einer Weltreise.«
»Woher wissen Sie das?«
Schmitt lachte über Toppes Ausruf. »Das weiß ich von Frau Ballauf, einer alten Dame, die auch beim Heimatund Verkehrsverein tätig ist. Sie ist schon über neunzig, aber noch sehr aktiv, so weit es ihre Gesundheit zuläßt. Frau Ballauf war damals mit der Familie Rosenberg befreundet. Vor ein paar Wochen erzählte sie mir, daß Salmon Rosenberg sie besucht habe. Das muß Ende August, Anfang September gewesen sein. Sie war überrascht, denn 1988 hatte sie vergeblich versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Und jetzt stand er plötzlich vor ihrer Tür. Sie sagte, er habe mit ihr Tee getrunken und versucht, seine Erinnerungen ein bißchen aufzufrischen.«
»Also doch nicht alles auf ewig vergraben und weggeschlossen«, murmelte Toppe.
»Nein,
Weitere Kostenlose Bücher