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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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durch den Verkehrssünder, der in die Menge raste. Aber diese Prellungen und Abschürfungen sind nichts im Vergleich zu dem, was passiert wäre, wenn die beiden Staatshüter ihre Amokfahrt fortgesetzt hätten ...«
    »Was die Handwerker jetzt kosten«, sagte die Frau mit der Zeitung. »Das muss man sich mal vorstellen. Wenn Sie mich fragen, ich bin für die Reichensteuer. Alles andere geht doch zulasten von die Kleineleut.«
    »Ist das nicht unglaublich?«, entgegnete ich und zeigte ihr den Lokalteil. »Was die sich erlauben, mitten in der Altstadt?«
    »Wundert Sie das, bei den Studenten? Deshalb bin ich mit meinem Mann aus Heidelberg weggezogen. Hab jetzt ein Häuschen in Eberstadt. Ist auch billiger.« Sie sah auf die Uhr.
    Bei den Studenten, da konnte ich ihr nur zustimmen. Wenn mich nicht alles täuschte, war auch der Autor des Artikels ein gestrandeter Akademiker, ehemals Barde der Revolution, der am Neckar gerne Freiheitslieder zur Gitarre sang. Anstatt sein Leben im Englischen Jäger zu beschließen wie so viele seiner Brüder im Geiste, hatte er eine Kommilitonin geheiratet, ein Grundstück im Neubaugebiet von Nußloch erworben und zwei süße Töchter gezeugt. Nun kämpfte er, ein Egon Erwin Kisch der Neckar-Nachrichten , für mehr Kindergartenplätze, gegen den Müll in den Straßen und für die Initiative ›Hier wacht der Nachbar!‹ Von seiner melodienseligen Radikalität früherer Tage war nur noch ein diffuses Misstrauen gegen ›die da oben‹ geblieben, womit er exakt dem Anforderungsprofil seines Arbeitgebers entsprach.
    Das war der Hintergrund für die Empörung des wackeren Schreibers, der seinen Artikel mit einem flammenden Appell gegen staatliche Übergriffe beschloss. Das Verhalten der Beamten, mahnte unser Mann, sei untragbar für eine Stadt, die von ihren Touristen lebe, eine Schande für das Gemeinwesen, das Produkt einer gewaltverherrlichenden Medienwelt. Das Letztere verstand ich zwar nicht ganz, umso besser verstand ich dafür die Argumentation des Kanzelpredigers, dass ich, der Unbekannte, mich im Grunde korrekt verhalten hatte. Gut, ein paar Autofahrer behindert, eine Ampel übersehen, überhöhte Geschwindigkeit, Beamtenbeleidigung ... Lappalien! Wer solche Beamten beleidigte, durfte sich als Robin Hood von Heidelberg fühlen. Lediglich in Polizeikreisen – beim Sheriff von Nottingham also – dürfte meine Beliebtheit gesunken sein.
    Insofern war ich erleichtert, dass mich niemand erkannt hatte. Die Zeugenaussagen, soweit wiedergegeben, sprachen von einem dicken dünnen jungen alten Mann fragwürdigen Geschlechts, der dem typischen Durchschnittseuropäer wie aus dem Gesicht geschnitten war. Die beiden Polizisten erstatteten Anzeige gegen unbekannt, und einige Eltern überlegten, ob sie ihrerseits Anzeige erstatten sollten. Gegen die Polizisten.
    Selbst der Oberbürgermeister rügte das Vorgehen. Die Grünen luden zu einer Diskussionsrunde ein (Thema: Die Polizei und wir – Risiko oder Chance?), der Verkehrsverein fürchtete um das Ansehen Heidelbergs. Die Redaktion bat um Leserzuschriften. Ansonsten: Keine Fakten, den Radler betreffend. Keine sachdienlichen Hinweise. Nur nebulöse Empörung.
    Als wir in den Heidelberger Hauptbahnhof einfuhren, kannte ich den Artikel auswendig.
    Auf dem Heimweg fuhr ich kurz bei Fatty vorbei, aber er war ausgeflogen. Ich warf ihm einen Zettel in den Briefkasten mit der Bitte, Bünting zu beschatten. Der Alte kannte ihn nicht, das war Fattys Vorzug Nummer eins, der zweite bestand in der Möglichkeit, motorisiert auf Verfolgungsjagd zu gehen. Bünting, dessen war ich mir sicher, würde sich ausschließlich im Auto fortbewegen. Weit weniger sicher war ich, ob sich die Beschattung lohnen würde. Aber irgendetwas musste ich ja tun. Vielleicht erfuhr ich auf diese Weise, wen der Alte besuchte, wen er traf, ob er noch einmal zum Friedhof fuhr oder ob er sonst etwas unternahm, was mir mehr verriet als seine bisherigen kryptischen Aussagen.
    Zumindest würde sich Fatty freuen. Schon öfter hatte er mir in den Ohren gelegen, ihn einmal mitzunehmen oder mit einer Beschattungsaufgabe zu betrauen. Dabei ist er ein ziemlicher Feigling. Nie und nimmer wäre er nachts auf dem Bergfriedhof erschienen; wenn Fatty etwas tut, muss die Sonne scheinen und sich eine Flasche Cola light in Reichweite befinden. Also: der richtige Job für ihn. Außerdem – und das ist der vierte Grund, der für Fatty spricht – hat er Zeit. Zumindest nachmittags. Er hat einen Halbtagsjob

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