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Berlin Gothic 4: Der Versteckte Wille

Berlin Gothic 4: Der Versteckte Wille

Titel: Berlin Gothic 4: Der Versteckte Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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schüttelte den Kopf, „eigentlich ist es ganz einfach. Denk an das, was dein Vater gemacht hat.“
    „Romane geschrieben.“
    „Genau. Und die Frage, die ich meine, lautet nun: Hat dein Vater das, was in diesen Romanen passiert, neu konstruiert, also in gewisser Weise erfunden - oder hat er es regelrecht entdeckt - also wie etwas, das auch ohne ihn schon vorher existiert hat?“
    Lisa hatte ihre Haltung wieder ein wenig gelockert. Sie schien jetzt doch mehr darauf bedacht zu sein, ihm zu folgen - als unbedingt ihrer Skepsis Ausdruck verleihen zu wollen.
    „Weißt du“, fuhr Till fort, „es ist ja nicht so, dass ein Autor einen Text einfach so zusammenbauen kann, wie er will. Wenn du die Berichte von Autoren liest, ist viel davon die Rede, dass sie auf die Inspiration warten müssen, dass sie sich von der Muse die Sachen einflüstern lassen müssen, oder auch, dass die Figuren nicht immer so wollen wie sie und dergleichen … “
    Lisa spitzte die Lippen.
    „Deshalb stellt sich die Frage, was Autoren eigentlich machen, wenn sie Geschichten schreiben. Entdecken sie die Geschichten, die sozusagen bereits irgendwo fertig vorliegen? Das wird ja auch durch das Überarbeiten, das Herumfeilen an einem Text nahegelegt. Die erste Niederschrift scheint mit der unabhängig existierenden Geschichte noch nicht übereinzustimmen und muss also allmählich daran angepasst werden.“
    „Das ist natürlich reine Spekulation.“
    „Sicher, es lässt sich - oder hat sich zumindest bisher - nicht beweisen oder nachweisen lassen, dass es so ist. Also dass die Geschichten, in gewisser Weise bereits existieren, BEVOR sie niedergeschrieben werden. Es gibt nur ein paar Hinweise, dass an dieser Vorstellung doch mehr dran sein könnte, als es auf den ersten Blick vielleicht den Anschein hat. Und was mich nun interessiert, ist, wie wir uns diese Welt der Geschichten, der Fiktion … die also auch unabhängig von allen Autoren existieren könnte … wie wir uns diese Welt vorstellen können - oder müssen.“
    Lisa sah ihn aufmerksam an und zugleich doch auch ein wenig zweifelnd.
    „Und in meiner Arbeit versuche ich nun - “
    „Einen Zugang in diese Welt zu finden - nein: zu bohren!“ Sie lachte.
    „Nein.“ Till hob die Hand, lächelte. „Ich versuche eine Ordnung in die Hinweise zu bekommen, die dafür sprechen, dass an dieser Intuition etwas dran sein könnte … also dass sogenannte fiktionale Sätzen mit einer irgendwie unabhängig existierenden Wirklichkeit übereinstimmen könnten.“
    „Dann wären dir zufolge also Romane, Erzählungen, die ganzen fiktionalen Texte gewissermaßen WAHR?“
    Till grinste. Sie hatte es begriffen. „Nicht: mir zufolge. Ich weiß es auch nicht, genauso wenig wie irgendjemand sonst … Ich schaue mir nur einfach diese Hinweise an, die dafür sprechen.“
    Lisa schien nachzudenken.
    „Es kann natürlich durchaus auch sein“, fuhr Till fort, „dass es im Bereich der Fiktion um Ähnlichkeiten und nicht Übereinstimmungen oder Korrespondenz geht. Geschichten sind ja besser oder schlechter, nicht richtig oder falsch. Darin unterscheiden sie sich ja auch zum Beispiel von Sätzen der Mathematik. Deshalb könnte man auch auf die Idee kommen, meine ich, dass das, was es in gewisser Weise irgendwie irgendwo gibt , sozusagen perfekte Dramaturgien, perfekte Spannungsbögen, perfekte Denkfiguren oder Geschichten sind - und dass das, was die Autoren aufschreiben, Texte sind, die diesen Idealen, diesen Vorbildern mehr oder weniger gut entsprechen, oder? Kannst du mir folgen?“
    Lisa sah geradeaus an ihm vorbei auf den Platz, aber er hatte das Gefühl, dass sie in Gedanken bei ihm war.
    „Und ich versuche nun … verstehst du? … eine Landkarte dieser idealen, perfekten Welt zu entwerfen, der fiktionale Texte mehr oder weniger gut entsprechen. Also, das ist jetzt extrem vereinfacht ausgedrückt - aber in etwa kommt es hin.“
    „Das nennt sich dann Poetik … oder Ästhetik oder wie?“
    „Naja - wenn man es ganz radikal sehen will, vielleicht eher … Ontologie - wobei das eine ganz ähnliche Vorstellung ist, wie im Bereich der Mathematik, wo die sogenannten Platoniker dafür argumentieren, dass es auch eine Seinsebene mathematischer Objekte gibt - “
    „Till!?“
    Till schrak zusammen, er war vollkommen in seinen Gedanken verstrickt gewesen. Direkt vor ihrem Sitzplatz hatte ein Wagen am Bürgersteig gehalten. Am Steuer saß Max.
    „Auf geht‘s, Mann!“ Max‘ Augen sprangen zu Lisa. „Was ist,

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