Bernie und Chet
Eingang zum Canyon. Geschlossen, versteht sich, und hoch, so wie Bernie oder sogar noch höher. Aber habe ich schon meine Sprungkraft erwähnt? Im nächsten Moment, womöglich noch eher, fand ich mich auf der anderen Seite des Tors wieder.
Bell, bell. Ich folgte dem Klang. Alle meine Sinne waren geschärft, ich hatte mich in meinem Leben noch nie so stark gefühlt. Das würde toll werden! Das Bellen führte mich nicht in den Canyon, sondern um das Haus herum, auf unsere Straße und den Hügel runter, weg von Iggys Haus.
Ich war erst ein kurzes Stück gerannt, als ich ein Auto mit zwei Männern darin bemerkte. Es war dunkel, die nächste Straßenlaterne stand an der Ecke, aber ich kann nachts sehen, kein Problem. Und was sah ich? Der Mann auf dem Beifahrersitz hatte blonde Haare, breite Wangenknochen, winzige Ohren. Ich kannte diesen Mann, aber ja doch. Was war noch? Sein Fenster war offen und sein Arm lag auf dem Rahmen. Ich erinnerte mich nicht mehr an alles, was Bernie gesagt hatte, aber an eines erinnerte ich mich noch genau: der Bösewicht.
Ich rannte los, machte einen Satz und grub meine Zähne in seinen Ellbogen.
Der Bösewicht schrie auf. Der andere Mann, der hinter dem Lenkrad, sagte: »B oris? Was zum Teufel …?« Der Fahrer entdeckte mich, griff nach unten, zog eine Waffe hervor, ein Riesending, das ich schon mal gesehen hatte, damals auf der Polizeischule: eine Elektroschockpistole. Dann hörte ich ein leises Plopp, etwas Leichtes traf mich im Nacken, und im gleichen Moment raste ein stechender Schmerz durch meinen Körper.
Ich fiel zuckend auf den Boden. Ich wollte bellen, nach Bernie bellen, der ja ganz in der Nähe zeltete, aber ich konnte nicht. Die Autotüren öffneten sich. Der Kofferraum klappte auf. Boris und der Fahrer – ein dunkelhaariger kleiner Mann mit Augenbrauen, die in der Mitte zusammengewachsen waren – sprangen heraus, hoben mich hoch und warfen mich in den Kofferraum.
Patsch. Der Kofferraumdeckel schlug zu. Ich konnte rein gar nichts sehen. Das Auto fing an, sich zu bewegen. Es war so eng hier drin, zum Verrücktwerden, ich trat wie wild um mich. Ich konnte nicht einmal aufstehen! Bernie! Bernie!
Das Auto fuhr jetzt ziemlich schnell. Ich hörte ein Wimmern und merkte, dass es von mir kam. Schlimm. Ich hatte nicht einmal mehr Schmerzen.
Ich lag da und versuchte, still zu sein. Nach einer Weile machte ich einen Geruch aus, den ich kannte, sehr schwach, fast an der Grenze des Wahrnehmbaren: der Geruch eines jungen weiblichen Menschen, mit einem Hauch von Honig, Kirsche und einer sonnenfarbenen Blume, die ich manchmal am Straßenrand gesehen hatte. Madison war vor mir hier gewesen.
Kapitel 9
Ich kann nachts gut sehen, so gut, dass es eigentlich keine Rolle spielt, ob es Tag oder Nacht ist, aber jetzt konnte ich zum ersten Mal in meinem Leben überhaupt nichts sehen. Das gefiel mir nicht. Außer dem Geruch von Madison gab es noch jede Menge andere Gerüche: den Geruch von Öl, den von Gummi, den von vergammelnden Abfällen. Und Geräusche, ein jämmerliches hohes Heulen. Nach einer Weile merkte ich, dass es von mir stammte. Ich stellte es ab. Daraufhin begann ich zu zittern, und ich schaffte es, auch das abzustellen. Dann lag ich einfach nur da, in völliger Dunkelheit. Aber was sollte das bringen, einfach dazuliegen und zu warten?
Ich streckte eine Vorderpfote aus, stieß gegen eine Seite des Kofferraums. War es eine gute Idee, daran zu kratzen? An irgendwelchen Sachen zu kratzen war eigentlich immer gut, aus meiner Sicht jedenfalls. Ich kratzte und spürte irgendetwas, das mich an einen Teppich erinnerte. Ich kratzte ein bisschen stärker, bald war ich mit allen vier Pfoten am Kratzen, grub meine Krallen in alles, was mir unterkam, riss irgendwelches Zeug raus – hartes Zeug, weiches Zeug, vielleicht sogar ein paar Drähte. Ein winziger Funke flog an mir vorbei, dann war alles wieder dunkel. Ich wusste nicht, warum, aber der winzige Funke schien mir eine gute Sache zu sein. Ich kratzte noch stärker.
Die Bremsen quietschten. Das Auto blieb stehen, so unvermittelt, dass ich gegen die vordere Wand des Kofferraums krachte. Eine Tür wurde zugeschlagen, dann noch eine. Ich hörte Schritte, die näher kamen. Das Auto gab ein metallisch klingendes Klopfen von sich. Außerdem konnte ich den Wind hören, der alles mit seinem Heulen übertönte.
Eine Männerstimme. »W as zum Teufel das ist?«
»T ja, sieht so aus, als hätten sich die Rücklichter verabschiedet, Boris«, sagte
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