Beseelt
musste ihm sagen, dass sie fortgehen würde.
„Liam, du weißt, dass meine Schwester gestorben ist, weil sie mir eine dringende Nachricht überbringen wollte.“
Bei ihrem ernsten Ton wurde er sofort ruhig und nickte. „Ja, das weiß ich.“
„Es waren keine guten Neuigkeiten. Meine Mutter ist tot.“
„Oh! Das tut mir leid, Brighid.“ Liam blinzelte ein paarmal hintereinander.
Oh Göttin! Bitte nicht weinen, dachte Brighid und fuhr schnell fort: „Der Tod meiner Mutter hat in meiner Herde viele Probleme verursacht. Sie war die Hohe Schamanin, und ich bin ihre älteste Tochter. Weißt du, was das bedeutet?“
Er runzelte nachdenklich die Stirn. „Dass du die nächste Hohe Schamanin sein sollst?“
„Ja.“
„Aber das geht nicht! Du bist eine Jägerin!“
„Ich weiß. Ich wollte nie Hohe Schamanin werden. Deshalb habe ich meine Herde verlassen. Ich wollte nie etwas anderes sein als Jägerin.“ Sie lächelte ihn zärtlich an. „Genau wie du, doch manchmal bekommen wir nicht das, was wir wollen.“
Liam schüttelte den Kopf, und Brighid fasste ihn an beiden Schultern.
„Ich muss zur Ebene der Zentauren zurück und dort für Ordnung sorgen. Wenn ich nicht den Platz meiner Mutter einnehme, werden schreckliche Dinge geschehen.“
„Dann gehe ich mit dir.“
Sie drückte seine Schultern und merkte, dass sein Körper unter ihren Händen zitterte. „Das geht nicht.“
„Aber ich will nicht von dir getrennt sein“, flüsterte er. Er gab sich alle Mühe, nicht zu weinen.
Brighid spürte, wie es ihr eng um die Brust wurde. Sie war keine Mutter; sie wusste nicht, was sie diesem kleinen Jungen sagen konnte, um ihm dem Schmerz zu nehmen. Ihre eigene Mutter hatte sie nie getröstet. Woher sollte sie wissen, wie man sich in so einer Situation verhielt? Vielleicht wäre es am besten, kurz angebunden oder gar böse zu ihm zu sein. Dann wäre er ohne sie möglicherweise nicht so traurig.
Nein. Das klang wie etwas, das Mairearad Dhianna einem Kind antun würde – sich verärgert zeigen, anstatt sich dem Schmerz der Liebe zu stellen. Sie war nicht wie ihre Mutter. Sie würde nicht die gleichen Fehler begehen.
Sanft berührte sie sein Gesicht. „Ich will auch nicht von dir getrennt sein, Liam. Und ich gebe dir jetzt und hier ein Versprechen. Sobald ich Ordnung in die Dhianna-Herde gebracht habe, werde ich nach dir schicken lassen. Du hast bei mir immer ein Zuhause.“
Eine kleine Träne rann ihm über die Wange. „Aber was tue ich in der Zwischenzeit?“
„Wenn deine Herrin es erlaubt, wäre es mir eine Ehre, dich mit in Eponas Tempel zu nehmen“, sagte Etain.
Brighid schaute auf und sah Etain und Midhir näher kommen. Die Inkarnation der Göttin hockte sich vor Liam und wischte ihm mit zarter Hand die Tränen ab.
„Dort haben wir auch eine Jägerin“, sagte sie.
„Aber vielleicht glaubt sie nicht, dass ich eine Jägerin sein kann. Sie denkt womöglich, ich bin nur ein Junge mit Flügeln.“ Er biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu weinen.
„Du bist der Lehrling der MacCallan-Jägerin.“ Midhirs Stimme dröhnte über den Kopf des Jungen hinweg. „Sollte irgendjemand dein Recht bezweifeln, den Weg der Jägerin zu gehen, wird er auch mich infrage stellen müssen.“
Liam starrte den riesigen Zentaur an. Seine weit geöffneten Augen zeigten deutlich, dass es seiner Meinung nach niemand jemals wagen würde, Midhir infrage zu stellen. Dann schaute er wieder sie an.
„Ich tue, was meine Herrin von mir verlangt“, sagte er, und seine Stimme zitterte nur ein ganz klein wenig.
„Ich glaube, das ist eine gute Idee“, sagte Brighid. „Dort triffst du Moira, die Leitende Jägerin von Partholon.“ Sie warf einen schnellen Seitenblick zu Midhir, der ihr aufmunternd zunickte. „Ich bin sicher, sie wird dir beim Spurenlesen helfen, bis ich nach dir rufe.“ Sie zerzauste ihm das Haar. „Und denk daran, Eponas Tempel grenzt direkt an die Ebene der Zentauren.“
„Also werden wir nicht weit voneinander entfernt sein?“
„Nein, wir werden nicht weit voneinander entfernt sein.“
Brighid nahm die Hand des Jungen fest in ihre, und gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg zur Burg.
38. KAPITEL
B righid hatte eigentlich noch vor dem Mittag auf dem Weg sein wollen, aber als sie die MacCallan-Burg endlich verließen, hatte die Sonne schon ihren Abstieg am westlichen Himmel angetreten. Sie nahmen die breite, kürzlich erneuerte Straße, die vom Haupttor der Burg direkt nach Loth Tor
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