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Bestien

Bestien

Titel: Bestien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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»würdet ihr nicht frieren, wenn ihr daran gedacht hättet,
in euer Haus zu gehen.«
    Er öffnete die Tür des großen Käfigs, griff hinein und drehte
den Lichtschalter, der die Glühbirne betätigte, die vom Dach
des schützenden Häuschens hing.
    Das Licht ging an, aber die Kaninchen machten keine
Anstalten, die Wärme und Geborgenheit ihres Obdachs
aufzusuchen.
    »Na los«, sagte Mark. »Seid nicht so dumm! Wenn ihr hier
draußen bleibt, friert ihr zu Tode!«
Er streckte den Arm zu ihnen aus, um sie in ihr Häuschen zu
treiben. Zuerst geschah nichts, aber dann machte der große
weiße Rammler mit den schwarzen Flecken einen plötzlichen
Ausfall gegen Marks Hand und biß ihn in den Finger. Mark
zog die Hand mit einem Ruck zurück und steckte den
blutenden Finger in den Mund. Er saugte daran, zog ihn wieder
heraus und besah ihn.
Die Bißwunde war klein, aber tief, und blutete reichlich.
»Verdammtes Biest!« sagte er, und eine Aufwallung
unvernünftiger Wut überwältigte ihn. »Dir werd’ ich’s zeigen!«
Er griff zu, packte den Missetäter bei den Ohren und zog ihn
aus der Gruppe seiner Gefährten heraus. Das Kaninchen
zappelte in seinen Händen und stieß mit den Hinterbeinen, um
sich zu befreien. Aber Mark achtete nicht auf die angstvollen
Bemühungen des kleinen Tieres. Er starrte es einen Moment
aus kalten und gefühllosen Augen an, dann packte er es beim
Genick.
Ein hohes Quietschen kam aus der Kehle des Kaninchens,
als Mark zudrückte, riß ab, als Marks andere Hand die Ohren
freigab und den Kopf mit einem Ruck herumdrehte.
Es gab ein leises Knacken von Knochen, und das Kaninchen
erschlaffte in seinen Händen.
Er sah das Tier einen Augenblick verständnislos an, als wäre
ihm nicht ganz klar, was er getan hatte.
Dann warf er es in den Stall zurück, machte kehrt und ging
langsam zurück zum Haus.
Chivas, einen Tennisball im Maul, holte ihn bei der
Hintertür ein und winselte eifrig.
Mark beachtete ihn nicht.
16
    CHARLOTTE LACONNER BETRACHTETE IHR EBENBILD im Spiegel
mit lethargischer Gleichgültigkeit. Konnte das wirklich sie
selbst sein, was sie da sah? Doch sie kannte die Antwort. Die
Charlotte LaConner, als die sie aufgewachsen war
– die
freundlich lächelnde Frau, deren weiche braune Augen die
Welt unweigerlich mit ruhiger Hinnahme betrachtet hatten –,
war im Laufe der vergangenen Woche beinahe vollständig
verschwunden. An ihrer Stelle war ein bleiches Gespenst ihres
früheren Selbst getreten. Das Lächeln war vergangen, und um
ihre Lippen war ein strenger Staketenzaun winziger Falten
erschienen. Ihre Augen, tief eingesunken von Schlaflosigkeit,
zwinkerten argwöhnisch, schienen selbst im Ruhezustand in
ständiger Bewegung zu sein, als suchten sie einen ungesehenen
Feind, der außer Sichtweite lauerte, bereit, sie anzuspringen,
wenn ihre Wachsamkeit auch nur einen Moment nachließ.
    Das Ebenbild im Spiegel trug kein Make-up, die bleiche
Gesichtsfarbe war den Blicken der Öffentlichkeit preisgegeben,
die nackten Gesichtszüge eingerahmt von einem strähnigen
Gewirr ungewaschenen Haares, das einen leicht öligen Glanz
hatte. Aber es war nicht wichtig, wie dieses Ebenbild aussah,
erkannte Charlotte, denn niemand hatte es gesehen. Sie hatte
ihr Haus seit mehr als einer Woche nicht verlassen.
    Es war Samstagnachmittag, obwohl Charlotte sich des
Tages und der Tageszeit nur unbestimmt bewußt war. Der Zeitablauf schien sich für sie verlangsamt zu haben. Als sie sich
nun vom Spiegel und der seltsamen Wiedergabe einer Person
abwandte, die nicht zu kennen sie ganz sicher war, bewegte sie
sich mit dem langsamen Rhythmus eines Menschen, der in
einen Sumpf geraten ist. Es gab Dinge, die sie tun sollte; sie
hatte im Geist eine Liste zusammengestellt, der sie jeden Tag
neue Posten hinzufügte, denn keiner der vorausgegangen
Punkte wurde abgehakt. Das Saubermachen, zum Beispiel.
    Zeitungen lagen aufgestapelt neben Chucks Lieblingssessel,
und der Stapel wuchs mit jedem Tag, obwohl sie sich erfolglos
ermahnte, die alten Zeitungen hinauszutragen. Eine dünne
Staubschicht lag auf den Möbeln, und in den Winkeln hatte sie
sich zu kleinen, lockeren Gespinsten zusammengefügt. Mit
einer verzweifelten Anstrengung versuchte Charlotte sich
zusammenzureißen, mit ihrer Tagesarbeit zu beginnen, dann
sank sie vor dem Fernseher auf den Sessel, griff mechanisch
zur Fernbedienung und schaltete ein. Sie saß still, den Blick auf
die flimmernden Darstellungen der Bildröhre fixiert, verstand
jedoch ganz und gar nicht,

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