BETA (German Edition)
der Governor-Ball vorbei ist, werden wir mit den Brattons bestimmt eine schnelle Einigung erzielen.«
Bahiyya beugt sich über den Tisch, um ihre Hand auf die von Tahir zu legen. Er zieht seine nicht weg, umfasst ihre Hand und führt sie zärtlich an seine Wange. Als sie sein Gesicht berührt, schmiegt er sich wie ein Kätzchen an ihre Handinnenfläche und reibt seine Wange sanft daran.
Bahiyya strahlt.
Und dann erstarrt sie auf einmal, als sie etwas Wichtiges zu bemerken scheint. Sie stößt einen Überraschungsschrei aus und reibt mit der Hand fester über Tahirs Wange und Kinn.
»Er hat Stoppeln«, sagt Bahiyya zu Tariq, als wäre Tahir überhaupt nicht anwesend.
Ihre Gesichter, die soeben noch aufgeregt und freudig strahlten, wirken ernst. Keiner denkt jetzt mehr ans Essen.
Außer mir.
Ich sterbe gleich, wenn ich nicht noch mehr Schokolade bekomme.
Tahir hat gesagt, dass er mich liebt. Wir sind Gleichgesinnte und Gefährten. Nun können wir so lange zusammenbleiben, wie unsere Beta-Hormone uns noch am Leben lassen. Kann sein, dass wir bald sterben müssen, aber bis dahin werden wir unsere restliche Zeit gemeinsam verbringen.
Seine Bartstoppeln werden entweder einen Mann aus ihm machen oder er wird durchdrehen und sterben.
Aber das ist egal, denn ich werde bei ihm sein.
»Tahir hat morgen sowieso einen Termin bei Dr. Lusardi«, sagt Tariq. »Sie kann dann eine Probe von seinem Bartwuchs testen.«
»Ja«, stimmt Bahiyya zu.
Doch dann.
»Nein«, sagt Tahir.
»Was?«, rufen seine Eltern.
»Nein«, wiederholt Tahir. »Ich geh nicht mehr zu Dr. Lusardi.«
»Darüber kannst du nicht entscheiden«, sagt Bahiyya.
Tahir wirft ihr den Blick-eines-liebenden-Sohnes-dem-man-einfach-nichts-abschlagen-kann zu, wie ich ihn bisher nur von First Tahir im Holografie-Familienalbum der Fortesquieus kannte, und das erste Mal sehe ich – und nicht nur ich, sondern wahrscheinlich auch seine Eltern –, wie er das Megawattgrinsen seines First aufblitzen lässt, mit strahlend weißen Zähnen und einen umwerfenden Charme versprühend. » Maman , bitte. Von Dr. Lusardis Behandlungen bekomme ich immer so fürchterliche Kopfschmerzen. Sie kann für mich doch gar nichts mehr tun.« Er beugt sich über den Tisch und reibt seine Wange an der seiner Mutter.
Seine Eltern reagieren auf diese störrische Weigerung voller Begeisterung. Ihre Gesichter strahlen wieder. Sie sind stolz. Endlich verhält sich ihr Klon, als wäre er tatsächlich ihr Sohn.
»Gut«, sagt Tariq. »Dann sage ich deine Termine bei Dr. Lusardi ab. Zumindest fürs Erste. Wenn du in der Lage bist, Entscheidungen zu treffen, und Gefühle zeigst, dann bist du auf dem besten Weg, ein menschliches Wesen zu werden. Vielleicht brauchst du ja tatsächlich keine Behandlungen mehr. Im Übrigen war ich sowieso nicht überzeugt davon, dass sie etwas für dich tun kann, was nicht auch schon die Ärzte in BC mit dir angestellt haben.«
»Endlich!«, ruft Bahiyya. »Wir haben wieder Hoffnung!«
Einunddrei ß igstes Kapitel
T ahirs Eltern haben ein Schokoladenmenü servieren lassen, um meinen letzten Abend bei ihnen zu feiern.
Tahir lässt ein Olympiaschwimmbecken für mich erbauen, zumindest in der FantaSphere.
»Wie willst du deinen letzten Abend hier denn gern verbringen?«, fragt er mich nach dem Essen.
»Ich würde gern von einem richtigen Sprungturm springen«, antworte ich. »Meine First war wahrscheinlich eine Wasserspringerin. Ich würde ihre Welt gern kennenlernen. Wie das bei ihren Wettkämpfen war. In der Klon-Beta-Version natürlich.«
»Könnte gut sein, dass die Klon-Beta-Version besser als die Originalversion ist«, sagt Tahir. »Mehr Kraft und mehr Beweglichkeit. Ohne den Ehrgeiz und andere störende Ablenkungen der Menschen.«
Und so kommt es, dass ich jetzt auf dem Höhepunkt der Water Wars an den Olympischen Spielen in Paris teilnehme. In einer Zeit, in der die Weltordnung umgestürzt wird, Nationen verschwinden und neue entstehen und unsagbare viele Tote zu beklagen sind, ist auch das Bedürfnis nach Hoffnung groß. Die Olympischen Spiele gelten als Symbol der Völkerverständigung und des Friedens. The games must go on.
Ich bin an der Reihe.
Nervös schreite ich am Beckenrand die Sprungtürme ab und spiele mit mir selber heiß und kalt. Ich muss mich entscheiden, von welcher Höhe ich meinen Sprung machen möchte. Ich bleibe hinter dem 5-Meter-Sprungturm stehen, aber die Vorstellung, von dort einen Sprung zu absolvieren, befriedigt mich nicht.
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