Beuteschema: Thriller (German Edition)
ohrenbetäubender Donnerschlag erschütterte das Haus, dann setzte die Sturzflut ein.
Es war mitten am Tag, und ihre Eltern waren beide bei der Arbeit. Ihre Mutter unterrichtete Biologie an der Highschool, worauf Claire ihr Interesse für Medizin zurückführte. Ihr Vater war Physiker und betrieb Forschung im Bereich Glasfasern. Er war jedoch auch religiös und besuchte jeden Sonntag die Kirche. Er hatte Claire seit ihrer Kindheit erzählt, dass ihn die Wissenschaft zum Glauben an Gott gebracht hatte, weil es Fragen gab, die sich nur mithilfe des Glaubens beantworten ließen.
Wer hat die Welt erschaffen, Daddy, hatte sie ihn oft gefragt. Er hatte immer geantwortet, dass er es nicht wisse.
Auf dem Weg ins Wohnzimmer dachte Claire, wie wunderbar still das Haus war, wenn man vom Prasseln des Regens absah.
Sie ließ sich in das tiefe, bequeme Sofa fallen, schlürfte ihren Kaffee und sah dem Regen zu, der wie ein Wasserfall an dem Panoramafenster herunterlief. Er ließ alles dahinter verschwommen aussehen, als existierte jenseits der Mauern ihres Kindheits-Zuhauses nichts. Sie zog sich eine Steppdecke über, die auf dem Sofa lag. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte sie sich geschützt und sicher wie in einem Kokon.
Und das Gefühl von Schutz brauchte Claire im Augenblick mehr als alles andere. Sie konnte nicht sagen, wovor sie Schutz brauchte, da war nur eine leise Angst, die vor allem nachts noch immer an die Oberfläche kam, wenn sie allein mit ihren Träumen war. Etwas nicht Erklärtes, ein Gefühl, ein Unbehagen, das an den Rändern ihres Bewusstseins lauerte.
Hatte sie nach allem nicht ein Recht darauf, sich sicher zu fühlen? Sie hatte den emotionalen Aufruhr überstanden, den es bedeutete, die gemeinsame Wohnung mit Ian auszuräumen, seine Kleidung der Wohlfahrt zu spenden und den Rest ihrer Habseligkeiten für die Zeit einzulagern, bis sie nach New York und zu Curtins Forschungsprogramm zurückkehren würde.
Wenn ich überhaupt zurückgehe, dachte sie.
Ians Begräbnis war hart für Claire gewesen. Curtin und Fairborn hatten beide teilgenommen, zusammen mit allen Stipendiaten des Programms. Sie hatten ihr Trost zugesprochen, vor allem Curtin, der in einem ungestörten Moment sein Versprechen wiederholte, dass sie einen Platz in seinem Programm sicher hatte, wann immer sie zurückkommen wolle. Doch eine Rückkehr war im Augenblick das Letze, was Claire im Sinn hatte. Das Verlangen, ihr bisheriges Leben so weit wie möglich hinter sich zu lassen, war beinahe überwältigend. Ihre Eltern boten ihr an, jede Reise zu bezahlen, die sie machen wollte, alles zu tun, was ihr half, den Schrecken der letzten Wochen auszulöschen.
Am Ende erkannte Claire, dass es nur einen Ort gab, an dem sie sich wirklich sicher fühlte. Und genau da war sie jetzt.
In der Woche, die sie inzwischen zu Hause war, hatten ihre Eltern für sie getan, was sie konnten. Beide hatten sich einige Tage freigenommen, um sie zu verwöhnen. Jetzt, da sie wieder arbeiten gingen, kamen sie so früh zum Abendessen nach Hause, wie es ihr Terminkalender erlaubte, damit ihr Kind nicht die ganze Zeit allein war. Claires ältere Schwester Diane, die in London als Architektin arbeitete, hatte ebenfalls angeboten, nach Hause zu kommen. Aber Claire hatte das Angebot abgelehnt. Diane war fünf Jahre älter, die beiden hatten sich nie sonderlich nahegestanden, und Claire fühlte sich nicht in der Lage, alle Einzelheiten der schrecklichen letzten Wochen für sie zu wiederholen.
Claire konnte sich den Gedanken nicht verkneifen, dass ihre Eltern jetzt mehr für sie taten, als sie während ihres Aufwachsens getan hatten. Es war eine bittere Ironie, dass sieben Morde und ein Beinahe-Zusammenbruch nötig waren, damit sie aufwachten.
Besser spät als nie.
Zum ersten Mal in ihrem Leben versteckte sich Claire nicht. Zum ersten Mal fühlte sie sich nicht unsichtbar.
Rumms! Eine Folge mächtiger Donnerschläge rüttelte das Haus und erschütterte Claire.
In plötzlicher Panik schoss sie von der Couch hoch und rannte zur Haustür. Sie fummelte an dem eigenwilligen Schloss herum, riss die Tür auf…
Und sah gerade noch, wie Mr. Winslow Amy zu seinem Wagen trug.
» Mommy, Mommy, komm raus! Bitte …«
Claire sah ins Haus zurück. Ihre Mutter kam nicht. Wo war sie?
» Mommy! Der Mann hat Amy mitgenommen!«
Sie lief schreiend zur Treppe und bekam keine Antwort. Sie weinte lauthals, als sie zur Tür zurücklief und wusste, was sie erwartete.
Donner. Claire sah Amy
Weitere Kostenlose Bücher