Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
in Tränen aus und bat seinen Vater um Verzeihung. Erklärte, dass er nicht genug Geld bei sich gehabt und aus dem Impuls des Augenblicks gehandelt habe. Dass er es niemals wieder tun werde. Der Vater hielt vor der Garage und umarmte ihn und versprach, Mama nichts zu sagen.
Jetzt saß Stefan auf einer Bank auf dem Schulhof und musterte Magdalena aus der Entfernung. Ihre braunen Locken wehten im Wind, und ihre Wangen waren apfelrund und hellrosa. Sie war von Freundinnen umgeben, sie lachte und rauchte. Wirkte ganz allgemein guter Dinge. Aber Stefan glaubte, in ihren Augen ein trauriges Funkeln gesehen zu haben. Als er an diesem Tag in der Mensa an ihr vorbeigegangen war, hatte sie bei seinem Gruß seinen Blick nicht erwidert.
Er wusste, dass er sich unverzeihlich aufgeführt hatte. Magda war so betrunken gewesen, dass sie kaum noch hatte gehen können, und sie hatten mit ihr Sex gehabt, das war nicht richtig gewesen. Es war erniedrigend. Außerdem brauchte er ein Mädchen nicht betrunken zu machen, wenn er Sex haben wollte, das wusste er. Aber dennoch, er hatte sich mitreißen lassen. Als hätte er der Versuchung nicht widerstehen können, hätte unbedingt sehen müssen, wie weit sie gehen könnten. Er ließ sich zurücksinken und schaute hinauf in den blauen Himmel. Beobachtete den Tanz einiger Schwalben hoch oben. Seufzte tief.
Stefan ahnte Anders eher, als dass er ihn gesehen hätte. Er wusste nur, dass es Anders war, als jemand sich neben ihn setzte. Er drehte sich um, musterte den Freund. Die Sommersprossen waren dunkler geworden und hatten sich vermehrt, jetzt, wo der Sommer näherrückte. Die blonden Haare waren frisch geschnitten, aber am Kinn wuchsen noch immer die wenigen Barthaare. Stefan überlegte, ob er etwas über Magdalena sagen sollte. Er wünschte sich, der Freund könnte ihm Absolution erteilen, ihm vergeben. Ihm sagen, alles sei in Ordnung. Sie hätten nichts Schändliches getan. Es sei nur die veraltete Sexualmoral seiner Eltern, die ihm im Kopf herumspuke, und es gebe beim Sex kein Falsch und Richtig. Solange alle mitmachten und es freiwillig geschähe, könne niemand Einwände erheben.
»Du siehst aus, als ob du einen Moralischen hast.« Anders schien ihn zu durchschauen, sein Blick war gerade und durchdringend.
»Ich denke an Magdalena.« Stefan machte eine vage Handbewegung in Richtung der Mädchen. »Es kommt mir einfach nicht richtig vor. Das, was auf dem Fest passiert ist.«
Anders nickte nachdenklich. Rieb sich das Kinn, als ob es juckte.
»Ich habe gewusst, dass du es bereuen würdest. Aber ehrlich, Steffe. Sieh dir Magda doch mal an, sieht sie aus, als ob es ihr schlecht geht?«
Stefan schielte zu den Mädchen hinüber. Magda legte gerade den Kopf in den Nacken und lachte, laut und nur ein ganz kleines bisschen zu schrill. Vielleicht bildete er sich auch alles nur ein? Vielleicht war alles erste Sahne? Vielleicht ging es allen supergut?
»Nein, das nicht gerade. Sie sieht okay aus.« Das gab er widerwillig zu.
»Eben. Es geht ihr einfach gut. Mir geht es einfach gut. Und bei dir sollte das auch so sein. Es war eine einmalige Sache. So was kann eben passieren. Wir waren blau und zugedröhnt. Ist schon in Ordnung.« Anders lachte kurz. »Gib zu, es war heftig? So was erlebt man nicht jeden Tag. Daran kann man in fünfzehn Jahren denken, wenn man verheiratet ist und Wauwau, Villa, Volvo und Wickelkind hat. Als Trost sozusagen.«
Stefan musste einfach lachen. Er konnte sich Anders nur sehr schwer mit diesem ganzen kleinbürgerlichen Familienpaket vorstellen. Anders war zu anderen Dingen bestimmt.
»Ich will mir am Kiosk eine Limo kaufen. Kommst du mit?« Anders war aufgestanden, wischte sich einige unsichtbare Krümel von der Hose. Stefan schüttelte den Kopf. Er hatte gleich Chemie, während Anders eine Freistunde hatte. Es wäre zwar wohl kein Problem, so kurz vor Schuljahresende noch zu fehlen, aber Stefan ging kein Risiko ein.
Anders beugte sich zu ihm vor und legte ihm die Hand auf die Schulter. Drückte zu.
»Hör mir jetzt mal zu, Steffe. Wenn wir die philosophischen Erörterungen für einen Moment vergessen. So mal frisch von der Leber weg. Du bist total in Ordnung. Du bist ein guter Mensch.«
Und dann machte er kehrt und ging. Stefan sah ihm nach, als er um die Ecke verschwand. Fühlte sich plötzlich ein wenig leichter. Nicht mehr ganz so bedrückt. Er machte sich auf den Weg zum Chemiesaal und entdeckte Magdalena, die allein auf dem Schulhof stand und sich an die
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