Bille und Zottel 15 - Pferde im Schnee
Apfeltorte mit Vanille-Eis, die es zum Nachtisch gegeben hatte, konnte sie dann doch nicht widerstehen.
Sie hatte vor dem Abendessen ein Bad genommen und sich aus Toms Schrank mit trockener Kleidung versorgt. Jetzt saß sie neben Hans Tiedjen in einem Hemd und einem Pullover von Tom, seinen Jeans und seinen dicksten Skisocken vor dem prasselnden Kaminfeuer und fühlte sich angenehm müde und wohl.
„Und du meinst, San Marcos Verletzung ist nicht wirklich ernst, Daddy?“
„Mit letzter Sicherheit kann ich das natürlich nicht sagen. Aber ich habe ihn gründlich untersucht, gebrochen ist nichts. Es wird eine schwere Prellung und Stauchung sein. Er muß zunächst weiter in einer Einzelbox bleiben und möglichst ruhig gehalten werden. Zu dumm, daß Dörffler nicht herüberkommen kann!“
„Er sollte sich für solche Fälle wirklich ein Pferd anschaffen“, meinte Bille. „Vielleicht ein Fjordpferd oder einen Haflinger, kräftig genug, ihn durch den dicksten Schnee zu tragen. He, da kommt mir eine Idee, Daddy, wie wär’s, wenn wir ihn morgen per Pferd herüberholen, falls die Straßen noch nicht frei sind? Ich könnte mit Theo als Handpferd zu ihm reiten und ihn abholen!“ Hans Tiedjen lachte.
„Keine schlechte Idee. Obwohl ich natürlich hoffe, daß wenigstens die Hauptstraßen wieder befahrbar sind.“ Er stand auf und ging zum Fenster. Der Sturm hatte sich gelegt, aber immer noch fielen sacht und gleichmäßig dicke Flocken vom Himmel. „Na, wer weiß. Wenn das so weitergeht. . .“
„Das gibt jedenfalls morgen noch mal einen Tag Schneeräumdienst.“ Bille befühlte prüfend ihre Arme. „Auf den Muskelkater bin ich neugierig!“
Draußen klopfte es an die Tür. Sie hörten Frau Engelke aus der Küche kommen und die Diele überqueren. Dann fragte eine Männerstimme nach dem Hausherrn. Frau Engelke ließ den Besucher ins Zimmer. Hans Tiedjen ging ihm mit ausgestreckter Hand entgegen.
„Mein lieber Hütter, welch seltenes Vergnügen! Setzen Sie sich. Ich hoffe, Ihr Besuch hat keinen unangenehmen Anlaß. Sie trinken doch sicher ein Glas Glühwein?
„Bei dem Wetter — sehr gern. Ich bin bereits wieder bis zu den Knien durch den Schnee gestapft. Bin gespannt, ob wir morgen früh überhaupt noch die Haustür aufbekommen!“
Der Direktor des Internats ließ sich seufzend in einen Sessel fallen und streckte die Handflächen dem wärmenden Feuer entgegen.
„Ist drüben etwas nicht in Ordnung?“ fragte Hans Tiedjen besorgt.
„O nein, unsere Reiterjugend bewährt sich großartig!“ versicherte der Direktor. „Wo ein Problem auftaucht, packen es meine jungen Schützlinge an. Jetzt hat eine Gruppe begonnen, aus Wachsresten Kerzen zu ziehen, damit wir Strom sparen können. Andere sind noch einmal zum Schneeschippen ausgerückt. In der Küche haben wir den alten Kohleherd wieder in Gang gesetzt, und in der Werkstatt werden behelfsmäßige Schneeschaufeln zusammengebaut. Ich bin wirklich stolz auf euch“, sagte er zu Bille gewandt. „Und auf dich ganz besonders! Etwas ganz anderes aber hat mich hergetrieben.“ Er nahm einen langen Schluck aus dem Becher Glühwein, den Bille im reichte. „Ich hörte eben noch mal die Meldungen über die katastrophale Lage auf den Bauernhöfen ringsum. Und das hat mich auf den Gedanken gebracht, daß wir unsere jungen Reiter ja auch außerhalb des Hofes einsetzen könnten. Für Kurierdienste, Lebensmitteltransporte und ähnliches. Vielleicht gibt es alte Leute, die versorgt werden müssen, Medikamente, die auf die Zustellung warten. Wenn wir einen Schlitten zur Verfügung hätten, könnten wir Arztbesuche ermöglichen. Ich bin sicher, daß es noch eine Menge anderer Dinge zu tun gibt.“
Hans Tiedjen lächelte. „Etwas Ähnliches hatte mir Bille gerade vorgeschlagen, bevor Sie kamen. Sie meinte, wir sollten den Tierarzt morgen per Pferd herholen. Die Idee ist ausgezeichnet. Hier in der Gegend gibt es einige Höfe, die mit Sicherheit von der Außenwelt abgeschnitten sind: Wenn die Räumfahrzeuge über Nacht auch nur einen Teil der Hauptstraßen freibekommen, können wir froh sein, selbst wenn die Bundeswehr und der Technische Hilfsdienst eingesetzt werden. Aber die können nicht überall zugleich sein. Auch für die Wildfütterung muß etwas geschehen, ich möchte nicht wissen, wie viele Tiere im Schnee steckengeblieben sind.“
Bille sprang auf. „Worauf warten wir dann noch, Daddy? Jede Minute ist kostbar! Wenn Hilfe gebraucht wird, sollten wir sie sofort leisten!
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