Bis dass der Tod uns scheidet
tapfer. »Ich fall nie runter und tu mir weh, oder, Mama?«
»Nicht, solange dein Vater oder ich da sind und dich auffangen«, erklärte Tamara Cunningham, Thackerys beste Lehrerin.
»Und Onkel L«, fügte der Junge hinzu. »Onkel L fängt mich auch auf.« Das war keine Frage.
Das Essen verlief sehr angenehm. Ab und zu wurde Thackery laut oder rutschte herum, doch Tamara brauchte nur die Hand auszustrecken und ihn zu berühren, und schon verebbte die nervöse Energie wieder.
Hush erzählte Geschichten von einem mutigen Ritter in schwarzer Rüstung und einer wunderschönen Prinzessin, die ihn liebte. Die Prinzessin wurde entführt, und der beste Freund des Ritters befreite sie, und dann rettete der Ritter den besten Freund und die lebten alle zusammen in einem großen rosafarbenen Palast, in dem jede Nacht Vollmond war und jeden Tag die Sonne schien.
Dies war eine Seite des Mörders, die nur die gerade Anwesenden jemals zu Gesicht bekamen.
Ich hatte das Gefühl, auserkoren zu sein – wie ein Elch im Zielfernrohr eines großkalibrigen Gewehrs.
Nach einem Dessert aus Erdbeer-Rhabarber-Kuchen und Ingwereiscreme verkündete Hush: »Zeit fürs Bett, junger Mann.«
In Thackerys Augen war die Enttäuschung zu lesen, doch er stand auf und gab seiner Mutter und mir einen Kuss.
»Gute Nacht«, sagte er, und Hush brachte ihn ins Bett.
Als sie hinausgegangen waren, wollte Tamara schon aufstehen und sagte: »Ich hol uns noch Kaffee.«
Ich streckte eine Hand aus, berührte sie aber nicht.
»Ich brauche keinen mehr«, hielt ich sie zurück, und sie setzte sich wieder.
Einen Augenblick lang schwiegen wir. Sie mochte mich. Ich war der Freund jenes Ritters. Ich hatte ihr das Leben gerettet und das von Thackery auch.
»Timothy liebt dich«, sagte sie nach einer köstlich angenehmen Ruhepause.
»Vielleicht sollten wir ihm das nicht verraten.«
Sie lachte und fügte hinzu: »Abgesehen von uns bist du das Nächste, was er an Familie hat.«
»Wie geht es dir, Tam?«
»Ich liebe meinen Mann und meinen Sohn«, antwortete sie. »Sie bedeuten mir alles. Aber … aber ich möchte gern etwas für mich haben. Vielleicht könnte ich einen Kurs besuchen. Timothy macht sich bloß so viele Sorgen um mich. Wenn ich mal nicht da bin, malt er sich gleich das Schlimmste aus. Ich bin mal zu Besuch bei meinem Bruder in Florida gewesen, und als ich zurückkam, war er ein Wrack.«
Ich erinnerte mich an das lange Wochenende. Das war das einzige Mal, dass ich Hush hatte trinken sehen.
»Sag ihm, was du brauchst, Schätzchen«, meinte ich. »Er wird einfach damit klarkommen müssen. Ich suche dir einen Babysitter, einen, der seinen hohen Ansprüchen gerecht wird.«
Tamara lächelte. Sie und ich lagen aus Gründen, die mir vollkommen schleierhaft waren, auf derselben Wellenlänge.
Hush kam wieder ins Zimmer.
»Er möchte, dass du kommst und ihm eine Geschichte erzählst«, sagte er zu seiner Frau.
»Okay«, meinte sie. »Bist du noch da, wenn ich fertig bin, Leonid?«
»Darauf kannst du wetten.«
Als sie hinausgegangen war, setzte sich Hush hin.
»Sie mag es, wenn du hier bist«, erklärte er.
»Machen wir einen Spaziergang?«
Er wusste, was das zu bedeuten hatte. Ich konnte sehen, wie hinter seinen Augen die Grablichter angingen.
32
Auf der Straße wirkten wir wie zwei ganz gewöhnliche Arbeiter am Ende eines zu langen Tages. Hush trug eine braune Jacke über seinem hellbraunen Hemd, ich einen meiner blauen Anzüge, Dienstkleidung.
»Wie viele von diesen Anzügen hast du?«, wollte Hush wissen, als wir an der monolithischen Bibliothek der NYU vorbeikamen.
»Vier«, antwortete ich. »Es waren nur drei, aber ich habe mir noch einen gekauft, der im Büro hängt, falls Katrina die anderen drei alle gleichzeitig in die Reinigung bringt.«
Das war für uns schon eine Menge sinnloses Geschwätz, also gingen wir schweigend ein paar Blocks weiter.
Als wir an der Houston Street an der Ampel warteten, war ich an der Reihe.
»Zwei Frauen«, fing ich an. »Allondra North und Pinky Todd. Die eine ist auf See geblieben, fiel vor der Küste von Florida über Bord. Die andere wurde auf der 5th Avenue von einem Obdachlosen erschlagen. Er knallte ihr einen Stein auf den Kopf und entkam am helllichten Tag.«
»Ich erinnere mich«, sagte Hush, als es Grün wurde. »Der Typ ist einfach hinter ihr aufgetaucht und hat sie an der Stelle getroffen, wo der Schädel auf der Wirbelsäule sitzt.«
Mein Herz kicherte. Kein richtiges Lachen, sondern
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