Bis in alle Ewigkeit
leiserschreien könne, sonst könne man es draußen womöglich hören.
»Scheißegal! Machen Sie das Fenster auf, sie braucht Luft! Sina! Pressen Sie! Atmen Sie durch den Mund, hecheln Sie wie ein Hund in der Sonne!«
Agapkin griff nach dem Stethoskop. Das Herz des Kindes schlug genauso schnell wie sein eigenes, im selben Rhythmus.
»Außer uns beiden sind hier alle verrückt. Ich wasche mir jetzt die Hände und helfe dir, hab keine Angst.« Ohne es zu merken, sprach Agapkin laut mit dem Kind.
Die Leinenvorhänge blähten sich im Wind. Wenn Sinas Schreie verebbten, hörte man den Schneesturm heulen.
»Sina, jetzt nicht pressen! Ruhig atmen, ganz tief, da ist schon das Köpfchen, da ist es, das liebe, gute!«
Unter Agapkins Händen kam eine faltige blaurote Stirn hervor, qualvoll zusammengekniffene geschwollene Lider, eine winzige Nase, ein Kinn. Seine Finger spürten ein rasches Pulsieren. Der Hals des Kindes war mit der straffen, glitschigen Nabelschnur umwickelt.
Sina begann erneut zu pressen, ziemlich heftig. Das Gesicht des Kindes wurde blau. Agapkin spürte dessen Atemnot geradezu. Langsam, als rettete er zusammen mit dem fremden Leben sein eigenes, zog er noch einmal und noch einmal. Die Schlinge lockerte sich, entglitt ihm jedoch.
»Nicht pressen, ich flehe dich an! Du erwürgst dein Kind! Halt aus, atme ganz tief! Renata, tun Sie doch etwas!«
»Renata ist rauchen gegangen«, sagte eine ruhige Stimme. »Vielleicht möchte diese Seele nicht auf die Welt kommen, nicht in den engen Fesseln des Fleisches leben. Vom Standpunkt des Karmas geschieht alles, was geschieht, zum Guten. Übernehmen Sie sich nicht.«
Die Presswehe war vorbei. Einen Augenblick lang war es still.Agapkin zog hartnäckig an der Schlinge. Chudolej stand neben ihm, und unter seinem Blick brannte Agapkins linke Gesichtshälfte. Im Zimmer heulte der Wind, Sina atmete langsam und tief, und plötzlich sprach sie zum ersten Mal in diesen langen Stunden: »George, Sie sind ein Vieh, ich hasse Sie. Gehen Sie. Fjodor, um Christi willen, retten Sie mein Kind!«
Die Schlinge gab nach und ließ sich mühelos und sanft über das Köpfchen ziehen.
»Sina, pressen! Es ist so weit!«, schrie Agapkin, der nicht bemerkte, dass Chudolej hinausgegangen war und die Tür leise geschlossen hatte.
Es wurde hell. Der Schneesturm hatte sich gelegt, aber der Wind heulte noch, stöhnte und schlug das Fenster auf und zu. Renata kam zurück und fragte gleichmütig: »Schon passiert?«
Agapkin kniete neben dem Bett und hielt ein blaurotes, mit weißer Schmiere bedecktes Geschöpf in den Händen. Die Morgensonne brach durch die Wolken, und ein Strahl schien durchs Fenster herein. Ein Weinen ertönte, leise und unsicher, dann immer kräftiger, und erfüllte zusammen mit dem Sonnenlicht das kalte graue Zimmer. Das neugeborene Mädchen schrie zornig und gekränkt.
Die ersten Straßenbahnen klingelten, Hufe trappelten, Räder bollerten, Zeitungsausträger schrien.
»Die Weltöffentlichkeit ist in Aufregung über den Tod des greisen Kaisers Franz Joseph!«
»Die rumänische Regierung hat in Panik Bukarest verlassen!«
»Eine skandalöse Erklärung des amerikanischen Präsidenten Wilson! Amerika ist zu stolz, um Krieg zu führen!«
»Erneutes rätselhaftes Verschwinden Rasputins!«
Schon wieder, dachte Agapkin mechanisch, zum wievieltenMal schon, und schloss das Fenster, damit sich der Säugling nicht erkältete. Renata kam mit einem Glas Tee herein.
»Bruder, Sie sind erschöpft, trinken Sie.«
Ohne sie zu beachten, kümmerte sich Agapkin um das neugeborene Mädchen, entfernte mit warmer feuchter Watte die Babyschmiere, hörte die Herztöne ab, band die Nabelschnur ab und durchtrennte sie.
Die gesamte Wäsche war steif gestärkt. Mehr schlecht als recht wickelte er das Kind mit einem Handtuch. Sina lächelte glücklich und hatte nur Augen für ihr kleines Mädchen. Sie richtete sich auf, nahm es Agapkin ab und folgte dem ältesten und zuverlässigsten Instinkt – sie legte es an die Brust. Das Weinen verstummte. Gierig saugte das Kind die Vormilch.
Renata trat zu Agapkin und fragte ihn flüsternd: »Warum haben Sie das getan?«
»Was?«
»Sie hätten ihr das Kind nicht geben sollen, schon gar nicht zulassen, dass sie es stillt. Das ist grausam, verstehen Sie das nicht?«
»Hören Sie, meine Dame, Sie sind hier vollkommen nutzlos, Sie stören nur und reden die ganze Zeit Unsinn.« Agapkin verzog das Gesicht. »Gehen Sie lieber zu Wolodja, schauen Sie
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