Bismarck 01
gab dabei auch der inneren Gereiztheit gegen den geliebten Zarenschwager nach, dem er so die Warschau-Olmützer Unanständigkeit heimzahlen konnte. »Rußland hat es mit ganz Europa verdorben, es sitzt in der Patsche, und ich sehe nicht ein, warum wir ihm heraushelfen sollen.«
»Majestät mißverstehen, das würde ich gewiß nicht wünschen. Aber noch weniger, daß die anderen auf unsere Kosten sich politisch bereichern. Auch ist ein Irrtum in der Rechnung, die Stimmung in Deutschland bei Hof und Volk ist diesmal prorussisch, weil antifranzösisch. Es sind wohl die dynastischen Sympathien, die in Bayern, Württemberg, Hannover, Sachsen das monarchische Prinzip bei Rußland und die Revolution bei Frankreich sehen.«
»Die Revolution, ah!« Die lose Schraube kam wieder in Schwingung. »Ich würde mich an die Spitze eines deutschen Fürstenbundes stellen.«
»Aber bitte nur dann, wenn Preußen dadurch für sich Vorteil erlangt.« Der König hatte sich ein L'Allemagne, ce'st moi natürlich nur platonisch-romantisch gedacht. »Alle können uns nichts anhaben, wenn wir Forderungen stellen.«
»Und wenn sie rundweg ablehnen?«
»Dann wird mobilisiert, nicht nur mit 200 000, wie vorgesehen, sondern mit 400 000, die können wir aufbringen, wenn wir wollen.«
»Immer ein Phantast, guter Bismarck. Und gegen wen sollten wir denn mobilisieren?«
»Natürlich gegen Österreich. Von Rußlands Niederlage hätten wir nichts zu unserem Vorteil zu erwarten, während der Donaustaat uns die Reorganisierung Deutschlands und die Erwerbung von Schleswig-Holstein einräumen müßte.«
»Was, was! Schleswig-Holstein?! Und früher waren Sie doch ganz dagegen. Nur aus Parteirücksichten?«
»Weil es noch nicht an der Zeit war. Heut sind wir Herren der Situation. Nicht nur die deutsche Nation, auch die Mittelstaaten wären für uns, mit wenigen Ausnahmen. Die wünschen aus dynastischen Gründen keine Niederlage Rußlands.«
»Ja, die Revolution!« Die steigende Paranoia des Königs horchte auf dies pathologische Leitmotiv. Die Reste seines so prächtig angelegten Intellekts verkannten aber nicht die Möglichkeiten. Er lächelte sehr freundlich, indes er eine Weile schwieg. Dann klopfte er Otto auf die Schulter und berlinerte: »Liebeken, das is allens sehr scheene, aber is mich zu teuer. So was konnte die Sorte Napoleon machen, aber nich unsereins.« –
Und damit war's entschieden, Preußen tat überhaupt nichts, was freilich Bismarck noch wohlgefälliger war, als wenn es etwas zugunsten Österreichs unternommen hätte. Aber auch diese Hoffnung trog, Preußen war auf bestem Wege, in schiefer Bahn hinabzugleiten. Der König reiste im Sommer nach München, doch die hierdurch erzeugte germanomanische Begeisterung verrauchte, weil sie unbenutzt blieb. Die Mittelstaaten traten in Bamberg zu einem Vertrag zusammen, der sich widerwillig dem Präliminarvertrag Preußens mit Österreich anschloß, verfielen von da ab wieder ganz dem österreichischen Einfluß. Der blinde König in Hannover, immer zu falschem Spiel geneigt, wenn es Preußen betraf, zeigte sich unzuverlässig, Bayern fiel halb um, Sachsen lavierte. Thüringen folgte natürlich dem Wink des Koburger Prince Consort , der heftig an den Herzog Ernst etwa in dem Sinne schrieb: »Friedrich Wilhelm ist ein schwankendes Rohr. Er läßt sich durch jedes Kopfnicken des Zaren seinen Willen diktieren.« Das war nun freilich übertrieben, im Gegenteil vergaß sich Preußen so weit, die österreichischen Forderungen in Petersburg zu unterstützen. Otto reiste, um sich Gewißheit zu verschaffen, nach Stuttgart zu König Wilhelm, dem einsichtigsten der Mittelfürsten. Er hatte im Krieg gegen Napoleon I. sich als Kriegsmann einen Namen gemacht und innerlich die Rheinbundneigungen abgestreift. Aber als er mit dem preußischen Gesandten, den er schätzte, vertraulich am Kamin saß, seufzte er schwer:
»Die Lage ist zu verfahren und Preußen zu schwach. Gewiß hat es den gleichen Grund wie wir, Österreich am Krieg mit Rußland zu hindern, und wenn es den Mut hätte, hätte es auch die Macht dazu. Doch wir sehen, wie ein windiger, beschränkterHerr wie Graf Buol braufloshandelt, ohne nur seinen Verbündeten, Preußen, zu fragen, das sich mitschleppen läßt als quantité négligeable . Da müssen wir an unsere eigene Sicherheit denken. Wir Mittelstaaten allein, ohne Preußen, können nicht Österreich und Frankreich zugleich vor den Kopf stoßen. Straßburg als Ausfallpforte liegt zu nahe, wir
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