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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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streife das T-Shirt ein zweites Mal ab, steige in die Duschwanne und stelle mich unter die dampfende Brause.
    Mit Ausnahme meiner Fahrt zur Insel – als ich mehr oderweniger in einem Schockzustand war – hatte ich bisher noch keine Zeit, über das nachzudenken, was Großvater mir heute Nachmittag erzählt hat. Nicht kritisch jedenfalls. Es stimmt, was ich Michael gesagt habe: Sobald ich aufhöre, meine Medikamente zu nehmen, gehen meine logischen Fähigkeiten zur Hölle. Genau wie mein Kurzzeitgedächtnis. Doch als Großvater mir erzählt hat, dass er Daddy erschossen hätte, da war es, als fiele das letzte Stück eines Puzzles an seinen Platz und vervollständigte ein Bild, das mir die meiste Zeit meines Lebens entgangen ist. Nur, dass diese Geschichte emotional mit meiner Vergangenheit, wie ich sie kenne, im Widerstreit liegt. Nach Michaels Worten bedeutet die Akzeptanz der Tatsache, dass mein Vater mich missbraucht hat, zugleich die Einsicht, dass er mich nie geliebt hat. Ich nehme an, das ist richtig, denn ein Kind zu missbrauchen bedeutet, es einzig zu seinem eigenen Vorteil zu benutzen. Aber kann Daddy mich trotzdem geliebt haben? Kann er mich geliebt haben und zugleich außerstande gewesen sein, dem Impuls zu widerstehen, mich zu berühren? Oder ist das Wunschdenken?
    Aus irgendeinem Grund bringt mich dieser Gedanke dazu, über Michael nachzudenken. Der Mann ist mitten in der Nacht in die Wildnis gefahren, um mir zu Hilfe zu kommen, ohne eine Gegenleistung dafür zu verlangen. Er hat mir sogar etwas zu essen gekocht. Und dann hat er mir ein Zimmer gegeben, in dem ich schlafen kann. Wenn ich meine vergangenen Erfahrungen mit Männern zum Vergleich heranziehe, dann zieht er jeden Augenblick den Duschvorhang zur Seite und steigt zu mir mit den Worten, dass er einfach nicht widerstehen konnte. Doch so etwas würde Michael nicht tun, da bin mir vollkommen sicher.
    Unter dem heißen Strahl der Dusche bemerke ich ein eigenartig harmonisches Geräusch. Als es verstummt und von neuem beginnt, erkenne ich den Ton meines Mobiltelefons. Ich spüle die Seife aus meinem Gesicht und blicke auf dasDisplay. Detective Sean Regan steht dort zu lesen. Ich will eigentlich nicht antworten, doch ich will wissen, ob Sean zu Hause bei seiner Frau schläft oder nicht. Also drücke ich auf den grünen Knopf und sage: »Sag nichts, bevor du mir nicht erzählt hast, wo du bist.«
    »Hier ist nicht, wen Sie vielleicht erwarten, Catherine«, sagt eine präzise Stimme mit einer Spur von Humor.
    Mein Herz hämmert wild. »Dr. Malik?«
    »Niemand anders. Sind Sie allein, Catherine? Ich muss mit Ihnen reden.«
    Angst schnürt mir die Kehle zu, nicht um mich, sondern um Sean. »Woher haben Sie Seans Handy?«
    »Ich habe sein Handy nicht. Ich habe mein eigenes so umprogrammiert, dass es die ID-Information von Detective Regan sendet. John Kaiser und das fbi werden diesem Anruf nicht so viel Aufmerksamkeit schenken, wenn sie sehen, dass der Anrufer Ihr Liebhaber ist.«
    Woher, zur Hölle, weiß er das alles? »Schießen Sie los.«
    »Ich rufe Sie an, weil ich etwas bei Ihnen lassen muss.«
    Ich drehe die Dusche ab und wickle mir ein Handtuch um die Brust. »Um was geht es?«
    »Das möchte ich Ihnen am Telefon lieber nicht sagen. Ich muss etwas bei jemandem in Sicherheit bringen, dem ich vertrauen kann.«
    »Sie vertrauen mir?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Instinkt.«
    »Das sollten Sie aber nicht. Ich arbeite mit dem fbi zusammen.«
    »Tatsächlich?« Eine Spur von Sarkasmus. »Ich denke nicht. Aber Sie müssen es sein, Catherine. Ich habe niemanden sonst, dem ich es geben kann.«
    »Was ist mit Freunden?«
    »Ich habe keine Freunde. Ich habe Patienten.«
    Ich fühle mich genauso. »Das geht mir ähnlich. Patienten und Exfreunde, das ist so ungefähr alles.«
    Malik lacht leise. »Ich habe nur Patienten.«
    Ich habe das entschiedene Gefühl, dass der Psychiater mir sagt, dass seine Patienten zugleich seine Geliebten sind. »Wenn Sie mir Ihre Patientendaten geben wollen, muss ich ablehnen. Das fbi hat einen Durchsuchungsbefehl für die Unterlagen. Ich mache mich strafbar, wenn ich sie zurückhalte.«
    »Es sind nicht meine Unterlagen.« Malik atmet ein, dann stockt er. »Es ist ein Film.«
    »Ein Film?«
    »Ein Film und die Rohmaterialien dazu. Mini-DVs, dvds, Tonbandkassetten und so weiter. Ich habe alles in zwei Kisten.«
    »Was für ein Film?«
    »Ich mache einen Dokumentarfilm über sexuellen Missbrauch und unterdrückte Erinnerungen.«
    Diese

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