Bitter Lemon - Thriller
wusste er da noch gar nicht … bis er Jahre später, im Gefängnis, zufällig den Zeitungsbericht über das UN-Tribunal in Den Haag las. Da war dieses Foto abgedruckt, auf dem der Zeuge Milos Kecman zu sehen war, wie er als freier Mann den Gerichtssaal verließ. Und Zoran erzählte mir von einem der Gäste in der Villa, diesem Carsten Cornelsen. Den sah er ebenfalls erst Jahre später, im Fernsehen, denn inzwischen ist der Mann ein sehr bekannter Moderator mit einer eigenen Show. Die Carsten-Cornelsen-Show. Da gibt er eine Mischung aus Pfarrer und Psychologe, dass einem speiübel wird. Bringt die Leute erst zum Heulen und tröstet sie dann scheinheilig. Und Zoran erzählte von den jungen Frauen in der Villa und von der Angst und dem Entsetzen in ihren Augen. Und von Irina aus Moldawien. Er fragte mich in der Nacht, ob ich vielleicht eine Einrichtung kenne, wo Irina gut aufgehoben sei und wo man keine lästigen Fragen stellen würde, ein Heim vielleicht, nur vorübergehend, bis er einen Dolmetscher gefunden und die Herkunft des Mädchens geklärt habe. Ich war zuversichtlich und versprach ihm, mich gleich am nächsten Morgen darum zu kümmern. Aber das war ja dann nicht mehr …«
Tomislav Bralic schluckte. Ihm versagte die Stimme. David half ihm, indem er das Thema wechselte:
»Wenn es Zoran so wichtig war, das Kokain aus seiner Wohnung zu schaffen, hatte er also damit gerechnet, dass …«
Tomislav Bralic nickte heftig.
»Ja, Herr Manthey. Er rechnete damit, dass man ihm etwas anhängen könnte, um ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Ein anonymer Anruf bei der Polizei hätte genügt. Eine kleine Razzia der Drogenfahnder in seiner Wohnung. Er war ja kein unbeschriebenes Blatt für die Polizei. Und er rechnete fest damit, dass Eliska gegenüber Kecman auspacken würde, seinen Namen und seine Adresse preisgeben würde … freiwillig oder unfreiwillig, wie auch immer. Kein Problem für Kecman, mit Gewalt alles aus ihr herauszuquetschen, was er wissen wollte. Gott sei ihrer Seele gnädig. Ich habe es heute im Radio gehört …«
»Aber Zoran rechnete offenbar in dieser Nacht nicht damit, dass Eliska gegenüber Kecman auch noch Marie erwähnen würde, deren Adresse nennen würde …«
»Richtig, Frau Gleisberg, so weit hatte Zoran nicht gedacht. Und das wird er sich niemals im Leben verzeihen. Während er hier saß, völlig aufgelöst, und mir von der unerwarteten Begegnung mit dem Schlächter von Vukovar berichtete, wurde seine geliebte Marie ermordet, nur um ihm einen Mord anhängen zu können, und die kleine Irina, die er erst kurz zuvor aus Kecmans Klauen gerettet hatte, wurde entführt und als lästige Zeugin wenig später ermordet. Zoran fühlt sich bis heute schuldig …«
»… und deshalb will er jetzt Rache üben. An Kecman. Der ihm alles genommen hat. Seine große Liebe. Außerdem zwölf Jahre seines Lebens. Herr Bralic, ich begreife nur nicht, warum Zoran damals im Prozess geschwiegen hat. Und warum er auch Ihnen verboten hatte, den Mund aufzumachen.«
»Ich weiß es nicht, Frau Gleisberg. Das ist die Wahrheit: Ich weiß es bis heute nicht. Es hatte etwas damit zu tun, dass gleich nach seiner Festnahme Kecmans Anwalt auftauchte und erklärte, Zorans Verteidigung zu übernehmen. Von diesem Moment an, als Waldorf ihn unter vier Augen in der Arrestzelle des Präsidiums gesprochen hatte, war Zoran wie verwandelt.«
»Sie reden doch nicht von Heinz Waldorf, oder? Heinz Waldorf war Kecmans Anwalt?«
»O ja. Und mehr als das, Frau Gleisberg. Waldorf war Kecmans juristischer Berater in fast allen geschäftlichen Angelegenheiten. Und sein williger Strohmann. Kaum hatte Waldorf mit Zoran gesprochen, bat Zoran um einen Priester. Als sein Beichtvater hatte ich fortan uneingeschränkt Zugang, auch später, nach der Verurteilung. Zoran nahm mir das heilige Versprechen ab, nichts zu sagen, was zu seiner Entlastung beitragen könnte. Ich entgegnete, die Schweigepflicht des Priesters beziehe sich lediglich auf die Beichte. Er lächelte und sagte: Irrtum, Tomislav, schau im Strafgesetzbuch nach. Die Schweigepflicht betrifft jede Information, die dir während der Ausübung deiner seelsorgerischen Tätigkeit zugetragen wird. Er habe seine Gründe, sagte er, wichtige Gründe, aber er wolle nicht noch mehr Menschen zu Mitwissern machen und so in Gefahr bringen. Er wirkte sehr angespannt und müde, als wäre er binnen weniger Stunden um Jahre gealtert, und er wurde wütend, als ich den Versuch unternahm, ihn von seinem
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