Black Dagger 04 - Bruderkrieg
haben. Sie hatte lange auf ihn einreden müssen, um ihm klarzumachen, dass es nicht seine Schuld war.
Mary konzentrierte sich auf Rhage, sie wollte nicht an die Krankheit denken, an den Arzttermin, der immer näher rückte. Gott, er sah kein bisschen besser aus, als sie sich fühlte. Obwohl er völlig unter Strom stand, sich nie eine Pause gönnte. Der Mann konnte einfach nicht zur Ruhe kommen. Als er sich neben sie aufs Bett setzte, rieb er sich unablässig die Oberschenkel; er wirkte, als hätte er einen schlimmen Ausschlag oder Windpocken. Sie wollte ihn gerade fragen, was los war, als er zu sprechen begann.
»Mary, darf ich etwas für dich tun?«
Obwohl Sex eigentlich das Letzte sein sollte, woran sie dachte, warf sie einen Blick auf seinen Bizeps unter dem schwarzen T-Shirt. »Darf ich mir was aussuchen?«
Er stieß ein leises Knurren aus. »Du solltest mich nicht so ansehen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich dich dann sofort besteigen will.«
»Tu dir keinen Zwang an.«
Wie zwei gleichzeitig angezündete Streichhölzer blitzten seine Pupillen weiß auf. Es war sehr merkwürdig. In einem Moment waren sie schwarz, im nächsten strahlte ein blasses Licht daraus hervor.
»Warum passiert das?«, fragte sie.
Er umschlang seine Beine mit den Armen, dann stand er abrupt auf und wanderte im Zimmer auf und ab. Sie konnte spüren, wie Energie von ihm abstrahlte, aber nicht aus ihm heraus.
»Rhage?«
»Du brauchst dir darüber keine Sorgen zu machen.«
»Deinem Tonfall nach sollte ich das aber vielleicht doch.«
Er lächelte sie an und schüttelte den Kopf. »Nein. Das brauchst du nicht. Zurück zum Thema. Wir Vampire haben einen Arzt, sein Name ist Havers. Darf ich ihm Zugang zu deiner Krankenakte verschaffen? Vielleicht kann unsere Wissenschaft dir helfen.«
Mary runzelte die Stirn. Ein Vampirarzt. Da bekam der Begriff Alternative Heilmethoden einen ganz neuen Klang.
Aber was genau hatte sie denn schon zu verlieren?
»In Ordnung. Nur dass ich nicht weiß, wie ich an die Akte –«
»Mein Bruder V ist ein Computergott. Er kann sich überall reinhacken, und die meisten Daten sollten online sein. Ich brauche nur Namen und Orte. Daten auch, wenn du sie weißt.«
Als er sich Papier und Stift schnappte, zählte sie ihm auf, wo und bei wem sie in Behandlung gewesen war. Er schrieb alles auf, dann starrte er auf den Zettel.
»Was denn?«, fragte sie.
»Es sind so viele.« Sein Blick hob sich. »Wie schlimm war es, Mary?«
Ihr erster Impuls war, ihm die Wahrheit zu sagen: Dass sie zwei Runden Chemotherapie und eine Knochenmarkstransplantation hinter sich hatte und gerade noch mal dem Tod von der Schippe gesprungen war. Aber dann dachte sie an die vergangene Nacht, als ihre Gefühle so verrückt gespielt hatten. Im Moment war sie ein Pulverfass, und ihre Krankheit war die ideale Zündschnur. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war, wieder die Kontrolle zu verlieren, denn die letzten beiden Male hatte das wahrlich nicht besonders gut geendet. Beim ersten Mal hatte sie ihm die
Ohren voll geheult. Beim zweiten Mal hatte sie ihn in die Lippe gebissen.
Sie zuckte die Achseln, log, und hasste sich dafür, murmelte: »Ich bin okay. Ich war froh, als es vorbei war.«
Seine Augen verengten sich.
Genau in diesem Moment hämmerte jemand an die Tür.
Rhages Blick blieb unverwandt auf sie gerichtet, trotz der Dringlichkeit, die in dem Geräusch zu liegen schien. »Eines Tages wirst du lernen, mir zu vertrauen.«
»Ich vertraue dir.«
»Blödsinn. Und noch ein kleiner Tipp für dich: Ich hasse es, angelogen zu werden.«
Das Trommeln an der Tür wurde lauter.
Rhage ging zur Tür und machte auf. Wer auch immer davor stand, sollte sich gefälligst verziehen. Er hatte das Gefühl, dass er und Mary kurz vor einem Streit standen, und er wollte es hinter sich bringen.
Tohr stand vor ihm. Er sah aus, als hätte ihm jemand eins mit einem Elektroschocker verpasst.
»Was zum Henker ist denn mit dir passiert?«, fragte Rhage, während er in den Flur trat. Er zog die Tür etwas zu.
Tohr schnupperte an der Luft, die aus der offenen Tür strömte. »Meine Güte. Du hast sie gekennzeichnet, richtig? «
»Hast du ein Problem damit?«
»Nein, es macht die ganze Sache sogar irgendwie einfacher. Die Jungfrau der Schrift hat gesprochen.«
»Erzähl.«
»Die anderen Brüder sollten auch dabei sein, wenn –«
»Scheiß drauf. Ich will es jetzt wissen, Tohr.«
Als der Bruder seinen Bericht in der Alten Sprache beendet
hatte,
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