Blinde Zeugen: Thriller
seinen Freund erschossen haben.«
Rory grinste kokett. »Ach, mutig würde ich das im Grunde nicht nennen – mir war es nur wichtig, dass Barrys Tod nicht umsonst war. Wir müssen uns gegen diese Leute zur Wehr setzen, Susan – was wird sonst aus unserer Gesellschaft?«
Steel lächelte gezwungen. »Rory, können wir mal kurz reden? Draußen auf dem Flur. Sofort. «
Der alte Mann sprang von seinem Hocker. »Aber sicher. Und wenn ich wiederkomme, Susan, müssen Sie mir unbedingt das Rezept für diesen fantastischen Karottenkuchen geben!«
Steel schleifte ihn aus dem Zimmer, und Logan blieb mit Susan zurück.
»Tja …« Susan stellte ihm einen Becher Tee hin. »Wie geht’s dir denn so? Wir haben uns ja nicht mehr gesehen seit … na ja, seit Polen.« Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Geht es dir gut?«
Logan zeigte auf sein Gesicht mit dem Flickenteppich aus Schorf und Stichen, den Blutergüssen und den schweren dunkellila Säcken unter den Augen, den Bartstoppeln. »Sieht schlimmer aus, als es ist.«
»Bleibst du zum Abendessen?«
»Danke, aber ich kann nicht.«
»Unsinn, du bleibst, keine Widerrede. Du siehst aus, als hättest du eine Woche lang nichts gegessen. Ich mache Fischauflauf.« Sie runzelte die Stirn. »Fisch isst du doch noch, oder?«
»Ich muss wirklich –«
Die Tür ging auf, und Rory tänzelte herein. »Habt ihr mich vermisst? … He!«
Steel schob ihn zur Seite. »Ist doch okay, wenn Laz zum Essen bleibt, oder? Und vielleicht kann er auch hier schlafen?«
»Was? Nein, das geht nicht, ich –«
Susan nickte. »Ist schon alles geklärt.«
»Aber ich kann nicht –«
» Doch , du kannst .« Steels Lächeln war nicht freundlich. Kaum hatte Susan ihnen den Rücken zugedreht, packte sie Logan und zog ihn zur Terrassentür, die Stimme zu einem zornigen Flüstern gesenkt. »Kommt gar nicht in Frage, dass du dich verpisst und mich die ganze Nacht mit Rory Simpson allein lässt! Noch mehr von diesem klischeehaften Tuntengehabe, und er verbringt die Nacht im Leichenschauhaus!«
»Rory will einfach nur witzig sein, du kennst ihn d–«
»Ich bringe ihn um.« Sie trat zurück, klopfte Logan auf die Schulter und sagte in normaler Lautstärke: »Wir richten das andere Gästeschlafzimmer her, dann kannst du da schlafen.«
»Aber ich habe schon was vor.« Das stimmte tatsächlich – er hatte vor, nach Hause zu fahren, sich ins dunkle Wohnzimmer zu setzen und sich bis zur Bewusstlosigkeit mit Wodka zuzuschütten. So, wie er es jeden Abend gemacht hatte, seit er aus Polen zurück war.
»Ist mir egal – du bleibst hier, basta!«
Rory trollte sich gleich nach dem Abendessen ins Bett. Kaum war die Küchentür hinter ihm ins Schloss gefallen, sprang Steel auf. »Okay …« Sie hustete, leckte sich die Lippen, trat von einem Fuß auf den anderen. Wechselte einen Blick mit Susan. »Wie wär’s mit ’nem kleinen Wodka?«
Sie ließen das schmutzige Geschirr stehen und setzten sich auf die Terrasse, wo sie Wodka pur aus kleinen Schnapsgläsern tranken. Die Flasche kam frisch aus dem Gefrierfach, mit einem dünnen Überzug aus Reif stand sie dampfend in der lauen Abendluft, während Steel und Logan für jedes Glas, das Susan trank, drei in sich hineinschütteten.
Eine Zitronengraskerze zischte und knisterte jedes Mal, wenn wieder eine Mücke oder Fliege im heißen Wachs Selbstmord beging.
Steel schenkte noch eine Runde ein, hob ihr Glas zu einem Toast – »Auf die Freundschaft!« – und kippte ihren Wodka in einem Zug hinunter.
»Übrigens …«, begann Susan und drehte eine Haarsträhne um den Finger, »wir …« Sie brach ab.
Steel schenkte Logan nach. »Wir kriegen keine Adoption genehmigt.«
Logan erstarrte, das Glas an den Lippen. »Müssen wir –«
»Die Kasse bezahlt uns keine künstliche Befruchtung«, fuhr sie fort, »und privat können wir es uns nicht leisten.«
Susan schniefte. »Na ja, wir könnten das Haus verkaufen.«
»Das Haus wird nicht verkauft!«
»Ich meine ja nur –«
»Das ist seit drei Generationen im Besitz meiner Familie.«
»Tja, aber es wird keine weiteren Generationen mehr geben, wenn wir es nicht schaffen, schwanger zu werden!«
Unbehagliches Schweigen.
Steel kippte ihren nächsten Wodka und schenkte allen nochmals ein. »Hab ich dir eigentlich mal von diesem Sperminator erzählt, Susan? Der Typ schmiert seine Soße überall in den Einkaufszentren auf Klinken und Geländer. Du müsstest bloß den Slip ausziehen und in ganz Aberdeen die
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