Blütenrausch (German Edition)
was nach Mord Totschlag roch. Jahrelang hatte ich kaum noch Krimis gelesen oder gesehen, auch die tristen Meldungen über Familiendramen oder desgleichen überflog ich nur. Jetzt lechzte ich nach jeder Nachricht, die etwas mit einem Todesfall zu tun hatte. Die einzige Erklärung, die ich dafür hatte: Ich fühlte mich endlich wieder lebendig. Es ist ja nicht so, dass Hochzeiten mich nicht erfüllten, aber die menschlichen Abgründe haben mich schon immer in ihren Bann gezogen.
»Kommen Sie jetzt endlich?«, schrie am anderen Ende der Leitung jemand im Hintergrund. Eine ziemlich schroffe Stimme. Ich erkannte sie sofort: Schulze.
»Du, ich muss jetzt echt ...«
»Schon gut, Oliver, wir reden später.«
Wenn die Bulldog ge ruft, gehorcht man besser, sonst riskiert man einen Anschiss.
Ich wollte gerade den Hörer auflegen, als ich Schulzes entrüstete Stimme noch einmal hörte: »Immer wieder diese Schrebergärten! ...«
I ch erstarrte wie vom Blitz getroffen. Als ich eine Sekunde später wieder zu mir kam, sagte ich in den Hörer: »Was? ...«
A ber Oliver hatte schon aufgelegt.
Es muss ja nicht sein ... Es gibt viele Schrebergärten in Berlin ... Todesfälle in Schrebergärten gibt es oft ... Es ist nur ein Zufall ... Wahrscheinlich eine Pennerin ... Zu viel Alkohol ... Oder eine alte Frau, die ihr Gärtchen von Laub befreite und dabei den morschen Ast eines Baumes auf dem Kopf bekam ... Ja, genau, das muss es gewesen sein .
Ich v ersuchte es mit allerlei Ausflüchten. Aber nichts half. Die Vorstellung, dass die Tote, wer auch immer sie sein mag, womöglich im Gretchen lag und etwas mit Natalies Tod zu tun hatte, ließ mich nicht los. Überzeugt davon, dass ich höchstwahrscheinlich eine Abfuhr erteilt bekäme, rief ich noch einmal an. Ich musste wissen, wo diese Tote lag.
Nachdem es zehn Mal geklingelt hatte, hob Oliver endlich ab und ich kam auf dem Punkt: »Bitte, sag mir nur eins: In welchem Schrebergarten seid ihr?«
»Hab ich dir nicht gesagt ...«
»Ich weiß«, unterbrach ich ihn, »aber es ist wichtig. Ich lade dich auch zu deinem Lieblingsitaliener ein. Versprochen. Gleich heute Abend, wenn du willst.«
Der Gedanke, dass ich gerade mal wieder meine Bestechungskünste einsetzte, die mich auch noch einen Haufen Geld kosten würden ‒ sein Lieblingsitaliener war einer der teuersten der Stadt ‒, machte mir ein schlechte Gewissen, aber ich wusste, dass es nicht anders ging.
Ich hörte, wie Oliver seufzte. »Ich nehme dich beim Wort«, flüsterte er. »Heute Abend. Und du wirst mir sagen, warum dir diese Information so wichtig ist, verstanden?«
Ich bejahte. Dann hörte ich, wie er jemanden fragte, wie der Schrebergarten hieß. Ich bekam alles mit. Bevor Oliver mir eine Antwort geben konnte, hatte ich schon längst aufgelegt. Ich schnappte mir meine Handtasche und meinen Trenchcoat und verließ mit der Geschwindigkeit einer Hundertmetersprinterin das Büro.
Zufälle gibt es immer wieder . Während ich mein Auto anließ, versuchte ich mich zu beruhigen. Als ich aus der Parklücke fuhr, dachte ich aber nicht mehr an Zufälle. Ich dachte nur noch an die Leiche, die im Schrebergarten lag. Derjenige, der Oliver die Auskunft gab, hatte den Namen der Laube nicht erwähnt, aber ich ahnte Schreckliches. Warum hätte es ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt einen Todesfall in dieser Kolonie geben sollen? Kein Zufallswissenschaftler der Welt hätte mich in diesem Moment mit seinen Theorien überzeugen können.
Mein Bauchgefühl sagte mir nämlich, dass die Tote im Gretchen lag.
Das Gewitter fing gerade an, als ich einen Fuß in die Gelbe Aue setzte. Vor lauter Aufregung hatte ich die schleichenden schwarzen Wolken übersehen. Direkt vor der Gartenkolonie fand ich auf Anhieb keinen Parkplatz, deshalb hatte ich den Wagen zwei Straßen weiter geparkt und war den Rest des Weges zu Fuß gegangen. Ich erwägte kurz, zurück zu meinem Auto zu gehen, um meinen Regenschirm zu holen, der im Kofferraum verstaut war, ließ den Gedanken aber wieder fallen. Bis ich das Auto erreichte, wäre ich sowieso klatschnass gewesen, also konnte ich genauso gut auf dem Weg zum Gretchen nass werden und sparte dabei Zeit.
A m Eingang der Gartenkolonie parkte ein Streifenwagen und kontrollierte jeden, der raus oder rein wollte. Damit er mich reinließ, gab ich dem Wachtmeister meine Personalien und den erfundenen Namen eines Häuschen sowie den Grund meines Besuchs an: Ich kam, um meine Pflanzen zu gießen. Dabei musste
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