Blut Licht
sie durch ihre Einstellung zur Gewaltlosigkeit und Entsagung den Geist unserer Gemeinschaft vergiften und so eine Entzweiung heraufbeschwören konnten.“ Sie lachte freudlos auf. „Letztendlich ist genau das geschehen, aber das ist niemals meine Absicht gewesen. Als Thalion mit seiner Bitte auf mich zukam, wies ich ihn daraufhin. Ich kann mir seine Handlung nur so erklären, dass er sich mit meinen Feinden verbündete, um mit ihrer Hilfe zum Versteck Kains zu gelangen. Er gedenkt, Kain wieder zu beleben, in der unwahrscheinlichen Hoffnung, dadurch die Wiederherstellung seiner Brüder einfordern zu können.“
„Könnte ihm das denn gelingen?“, fragte ich sorgenvoll.
„Das Wissen darum hat er“, entgegnete sie eisig. „Aber Kains Dank-barkeit wird sich sehr in Grenzen halten. Er ist nicht eben für gnadenvolle Handlungen bekannt und nach Jahrtausenden in seiner aufgezwungenen lebendigen Totenstarre wird ihm kaum der Sinn nach Nächstenliebe stehen.“
Ich befürchtete das Gleiche. Wenn ich dazu verdonnert worden wäre, eine Ewigkeit tatenlos herumzuliegen, ohne mich dabei auch nur einmal an der Nasenspitze kratzen zu können, wäre meine Laune ebenfalls nicht die Beste. Ich konnte nur hoffen, dass Thalion das in Betracht zog und rechtzeitig zur Besinnung kam.
„Was würde geschehen, wenn Kain bleibt, wo er ist?“, hakte ich zögernd nach.
„Ehrlich gestanden wäre es mir das Liebste. Dann aber würde ein anderer kommen und ihn erwecken wollen. Sie suchen ihn schon seit tausenden von Jahren, Faye. Immer in der Hoffnung, durch seine Rückkehr an Macht und Einfluss zu gewinnen. Sein Erscheinen wird jedoch nur Tod und Verderben bringen, und das weitaus schlimmer als es jemals zuvor gewesen ist. Wenn Kain schon gefunden wird, muss er endgültig vernichtet werden, damit es ein für alle Mal ein Ende findet.“
Abermals nickte ich verständnisvoll, auch wenn mir der Gedanke an den Tod dieses Vampirs keineswegs behagte. Zumal ich inzwischen wusste, wem diese schicksalhafte Aufgabe zugeschrieben worden war. Obendrein kannte ich einige wenige Auszüge aus Liliths schriftlichem Vermächtnis und ahnte, dass mein Zutun unabdingbar war. Insbesondere, wenn ich meine Tochter vor weiteren möglichen Zugriffen bewahren wollte. Und welche Mutter würde nicht ebenfalls ein Risiko eingehen, wenn es galt, das eigene Kind zu schützen? So wie es derzeit aussah, hatten wir keine andere Wahl, als das durchzuziehen, was wir begonnen hatten. Es gab keinen Weg zurück, wie sehr ich mich auch danach sehnte. Es gab nur noch ein Stetiges voran. Trotz aller Überlegungen blieb eine Sache offen. „Warum hast du dir die ganze Mühe mit dem Verfassen des Buches sowie das Erstellen der Schriftrollen gemacht, wenn du nicht aufrichtig wolltest, dass Kain irgendwann gefunden wird? Und warum, wenn es denn jetzt an der Zeit ist, zeigst du Darian nicht einfach Kains Versteck und kürzt die ganze Angelegenheit erheblich ab? Es wäre im Sinne aller Beteiligten.“
„Wirst du mir glauben, wenn ich dir beteuere, dass ich über diese Lösung schon mehrfach nachgedacht habe?“, begegnete sie meinen
Fragen mit einer Gegenfrage, wartete aber meine Reaktion nicht ab und fuhr fort: „Ich schrieb die Aufzeichnungen für den Fall nieder, dass es mich selbst eines Tages erwischen würde. Ich bin zwar unsterblich, aber nicht unantastbar. Dessen ungeachtet kann ich es nicht beenden, Faye. Der Ball ist ins Rollen geraten und lässt sich nicht mehr aufhalten, selbst wenn ich es wollte. Sollte überdies das Unvorstellbare eintreten und ihr scheitert, so wird mein Geheimnis vorerst gewahrt bleiben.“
Entzückend. Sie turnte mit doppeltem Boden und wir befanden uns im freien Fall - nur, dass ihre Knochen nach einem Aufprall viel schneller heilen würden als meine. Gleichwohl hatte sie mein Verständnis, denn ich wäre vermutlich genau so verfahren.
„Ich sollte dich zurückbringen“, meinte Lilith schließlich und wies dabei auf die ersten Vorboten des anbrechenden Tages.
Verschreckt sprang ich auf. Ich hatte vollends die Zeit vergessen und konnte nur mutmaßen, wie lange wir hier in dieser Einöde verbracht hatten. Mein Gott! Wenn nicht Darian, dann hatte gewiss mein Vater bereits eine Vermisstenanzeige aufgegeben.
Lilith erhob sich ebenfalls, reichte mir ihre Hand und schon ging es heimwärts.
Kapitel neunundzwanzig
S ie setzte mich mitten im Salon ab und verschwand ohne ein weiteres Wort. Wozu auch, denn sie hatte gesagt, was es zu sagen
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