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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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ausgeschmückt wurden. Niemand konnte mit persönlichen Erfahrungen aufwarten.
    Also ging Peiqin einen Schritt weiter. Durch Beziehungen knüpfte sie Kontakte zum Restaurant Ming, in dem Qiao vergangenes Jahr gearbeitet hatte. Der Geschäftsführer, Vieräugiger Zhang, riet Peiqin, sich an Rong, die dortige »große Schwester« zu wenden.
    »Rong ist die älteste, Mitte Dreißig und eine erfahrene große Schwester. Sie hat gute Kontakte und eine Kartei mit Stammkunden, die solche Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Außerdem ist sie belesen und kennt sich in der Geschichte der Kochkunst aus. Das schätzen vor allem die älteren Kunden«, erklärte Zhang. »Einige von ihnen buchen ihr Tischfräulein im voraus, und Rong macht die Termine. Um neue Kunden anzusprechen, braucht man Fingerspitzengefühl, auch da ist uns ihre Erfahrung von großem Nutzen. Es heißt, sie sei mit Qiao befreundet gewesen.«
    »Dann ist sie genau die richtige für mich. Haben Sie herzlichen Dank, Geschäftsführer Zhang.«
    »Wie Sie sie zum Reden bringen, ist Ihre Sache. Rong ist eine starke Persönlichkeit.«
    Peiqin rief also bei Rong an und stellte sich als angehende Schriftstellerin vor. Da sie durch Zhang von ihrem Fachwissen erfahren hatte, lud sie Rong in den Herbstpavillon ein, ein Restaurant, das vor allem für seine frischen Meeresfrüchte bekannt war. Zhang hatte sie offenbar richtig eingeschätzt, denn Rong sagte spontan zu.
    Sie betrat den Herbstpavillon in weißer Jacke und Jeans. Man hätte die hochgewachsene, schlanke Frau ohne Make-up und Schmuck nicht unbedingt für ein Tischfräulein gehalten. Peiqin, die einen Tisch in einer ruhigen Ecke gewählt hatte, erklärte ihr Anliegen: Neben einer Einführung in Chinas kulinarische Tradition wolle sie gern mehr über Qiao erfahren, deren Schicksal sie zu einer Kurzgeschichte zu verarbeiten gedenke. Es fiel Peiqin nicht schwer, sich als Schriftstellerin auszugeben und mit Zitaten um sich zu werfen, die Frage war nur, ob Rong ihr das abnahm.
    »Interessant«, erwiderte diese. »Heutzutage will kaum jemand Schriftsteller werden. Da kritzelt man monatelang vor sich hin, und am Ende kann man für das Honorar nicht mal anständig essen gehen.«
    »Wie recht Sie doch haben. Aber ich habe über zehn Jahre in einem Restaurant gearbeitet und will mit meinem Leben noch was anderes anfangen, als zu Hause täglich drei Mahlzeiten auf den Tisch zu bringen.«
    »Dann sind wir ja Kolleginnen. Sie brauchen hier nicht aufzutischen wie einer dieser Geldsäcke«, sagte Rong brüsk und griff nach der Karte. »Lotoswurzeln mit Klebreisfüllung, Landhuhn in Shaoxing-Wein, lebender Barsch mit Ingwer und Frühlingszwiebeln. Das sollte genügen.«
    »Wie steht’s mit Vorspeisen?«
    »Nehmen wir doch die fritierten Austern. Ich esse heute noch ausgiebig im Ming zu Abend. Wir sind schließlich zum Reden hergekommen.«
    »Na gut«, sagte Peiqin, erleichtert, daß Rong sich in ihrer Gegenwart nicht wie ein Tischfräulein benahm. »Wie lange kannten Sie Qiao?«
    »Nicht lange. Erst seit sie im Ming anfing, das liegt ungefähr ein Jahr zurück.«
    »Zhang erwähnte, daß Sie befreundet waren. Dann kannten Sie sie also näher?«
    »Das nicht. In unserer Branche werden keine Fragen gestellt und auch keine beantwortet. Sie war jung und unerfahren, deshalb habe ich ihr den einen oder anderen Ratschlag gegeben. Und jetzt, wo sie tot ist, sollte ich wohl erst recht nicht so viel reden, selbst wenn ich etwas wüßte …«
    »Was Sie mir erzählen, soll nur den Hintergrund für meine Geschichte abgeben. Ich werde selbstverständlich keine Namen nennen, das verspreche ich Ihnen, Rong.«
    »Dann muß es also nicht unbedingt um sie gehen?«
    »Nein.« Peiqin verstand ihre Zurückhaltung, denn die Regenbogenpresse lechzte nach Informationen. »Zhang kennt mich, andernfalls hätte er mich nicht an Sie verwiesen. Ich brauche Stoff für eine fiktive Geschichte.«
    »Also gut, dann werde ich Ihnen eine fiktive Geschichte erzählen«, entgegnete Rong, die ihre Teeschale in einem Zug leerte und dann mit den Fingern nach einer goldgelb fritierten Auster griff. »Sie erfahren darin etwas über unsere Arbeit. Der Name des Mädchens tut nichts zur Sache. Bei einer Erzählung müssen Sie es ja nicht so genau nehmen.«
    Das war ein schlauer Schachzug; indem sie, was sie preisgab, als fiktiv bezeichnete, entzog sie sich der Verantwortung.
    »Sie wurde Anfang der Siebziger geboren«, begann Rong und knabberte an der Auster. »Ihre Eltern

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