Blut und rote Seide
zurück. Schließlich zahlte er kräftig für solche Essenseinladungen. Einen Monat später traf sie ihren siebten Partner im Yangzhou-Pavillon, mit dem sie über einer mit Schinken und Hagelzucker gedämpften Schildkröte flirtete; diese allseits gepriesene Spezialität ist dafür bekannt, daß sie die sexuelle Energie stimuliert. Lächelnd legte sie ihm ein Stück Schildkrötenfleisch in seine Schale, das nächste steckte sie ihm in den Mund.
Es dauerte nicht lange, und sie bekam Schwierigkeiten mit ihrem normalen Umfeld. Die Männer, die ihr von Nachbarn oder Arbeitskollegen vorgestellt wurden, standen auf derselben sozialen Stufe wie sie und wurden ihren Erwartungen natürlich nicht gerecht. Einer verkaufte sogar sein Blut, um sie ins Restaurant Rote Erde einladen zu können. ›Was kann ich dafür?‹ verteidigte sie sich. ›Niemand zwingt die Männer dazu. Warum sind diese Restaurants so teuer? Weil sie Qualität auf den Tisch bringen. Und wieso ich? Weil ich schön bin. Ich gehe nicht bloß dorthin, um meinen Gaumen zu befriedigen. In der Fabrik bin ich nur ein kleines Rädchen, festgeschraubt, fühl- und leblos. Aber in diesen exquisiten Restaurants erwache ich zum Leben, dort bin ich eine Frau, die sich bedienen und verwöhnen läßt.‹
Die Nobelhotels und Luxusrestaurants schossen empor wie Bambus nach dem Regen und wurden von schönen Mädchen, den Dreispartengirls, bevölkert. Das brachte sie auf eine weitere Idee: Sie war attraktiv und sachkundig, ihre Begleitung als Tischfräulein wäre sicherlich gefragt. Vielleicht würde sie auf diese Weise eines Abends ihrer ›Goldschildkröte‹ begegnen, einem reichen künftigen Ehemann. Dann wäre sie nicht mehr darauf angewiesen, von Heiratsvermittlerinnen Kandidaten vorgestellt zu bekommen, die die Zeche nicht bezahlen konnten.
Der Beruf erwies sich als sehr einträglich. Wenn sie sich für zehn Jahre alten huadiao -Wein entschied, oder die Spezialitäten des Chefkochs bestellte – Drache kämpft mit Tiger, Schlangen- und Katzenfleisch, im selben Topf geschmort, oder Abalone mit Haifischflossen –, so brachte ihr das jedesmal eine stattliche Prämie. Wollte ein Kunde zusätzlichen Service, so war das Verhandlungssache. Es dauerte nicht lange, und ›sie schwamm auf den Wellen und ließ sich von der Strömung treiben‹.
Eines Abends, nach einem leichten Mahl mit einem japanischen Kunden, folgte sie ihm in sein Fünf-Sterne-Hotel, wo sie sich Sushi und Sake aufs Zimmer bringen ließen. Auf seinen Wunsch zog sie einen Kimono an und kniete auf einem Kissen, bis ihr die Beine einschliefen. Doch nach drei Schälchen Sake ließ die Gewißheit, daß das Mahl Tausende von Yuan kosten würde, sie wie eine Blume der Nacht erblühen. Später bat er sie, zu duschen und sich auf den Teppich zu legen, wo er ihre nackten Zehen mit Wasabi bestrich und sie einen nach dem anderen in den Mund steckte und daran nuckelte wie ein Säugling. Er behauptete, das sei köstlicher als Lachs-Sushi. Dann verteilte er den scharfen grünen Meerrettich auch auf andere Körperteile, während sie sich kichernd unter seinen kitzelnden Berührungen wand. Er schwor ihr beim Namen seiner Mutter, daß das ›Festmahl des weiblichen Körpers‹ fester Bestandteil der ehrwürdigen japanischen Gourmet-Tradition sei. Sie war zu betrunken, um sich an die Details dieses ›sinnlichen Gelages‹ zu erinnern. Als er ihr am nächsten Morgen Geld anbot, lehnte sie ab. Plötzlich fiel ihr ein, daß ihr Großvater im Antijapanischen Krieg gefallen war. Statt dessen ließ sie sich in Hotelgutscheinen bezahlen.
Als sie das Fünf-Sterne-Hotel verließ, ging sie noch immer wie auf Wolken. Doch man stieß sie unsanft in ein Polizeiauto. Damals war es noch verboten, mit Ausländern zu schlafen. Nach drei Tagen ließ man sie wieder frei, weil sie nicht aktenkundig war und keine japanischen Yen bei sich hatte. Doch es blieben ein Gefühl der Demütigung und ein ›politischer Makel‹ zurück. Dennoch zeigte sie stolz die Karte für den Roomservice und die Gutscheine bei ihren Kolleginnen herum.
Damals war die Textilindustrie der Stadt bereits in die Krise geraten. Shanghai, früher ein Industriestandort, hatte sich zu einem Zentrum des Bank- und Finanzwesens gewandelt. Während immer neue Hochhäuser die Skyline der Stadt veränderten, wurde ihre alte Fabrik geschlossen, und der Direktor nutzte die Chance, sie mit der Begründung auf die Straße zu setzen, sie habe ihren Arbeitsplatz ›verfressen‹.
So
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