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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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beteuerte er und schluckte hart. »Das sind alles gute, regelmäßige Kunden.«
    »Gute Kunden, aha«, sagte Yu. »Und wie regelmäßig?«
    »Der Eintrittspreis ist nicht hoch, aber mit Getränken und Trinkgeldern kommt man an einem Abend leicht auf fünf- bis sechshundert Yuan. Stammkunden kommen mindestens einmal die Woche.«
    »Hat einer von ihnen jemals oben ein Zimmer gemietet?«
    »Das Hotel ist nichts Besonderes. Kaum jemand übernachtet dort, schon weil es die ganze Nacht laut ist. Das wäre auch nicht sehr klug. Die Leute haben so ihre Vorstellung, was ein Kunde mit einem Tanzmädchen dort oben treibt. Deshalb gehen sie meist woanders hin.«
    »Das leuchtet ein.« Yu nickte.
    Die Liste enthielt Namen, Adressen und Telefonnummern, manchmal standen auch noch Beruf und Präferenzen dabei. Vermutlich diente sie der gezielten Werbung.
    »Wenn wir Sonderveranstaltungen haben«, erklärte der Empfangschef, »dann informieren wir unsere Kunden.«
    Auch er würde einige davon anrufen müssen, dachte Yu, während er die Liste überflog. An einem Namen blieb sein Blick hängen, Jia Ming, daneben stand die Berufsbezeichnung Anwalt. Der Name sagte Yu etwas. Chen hatte ihn gebeten, wegen dieses hochkarätigen Wohnungsbauprojekts Erkundigungen über den Mann einzuziehen.
    Es kam ihm sonderbar vor, daß Jia, ein bekannter Anwalt, der in kontroversen Fällen als Verteidiger auftrat, die Zeit fand, hier regelmäßig zu verkehren.
    »Können Sie mir etwas über diesen Mann hier sagen?«
    »Jia Ming«, las der Empfangschef und lächelte entschuldigend. »Über den weiß ich wenig. Kein wirklicher Stammkunde.«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Die meisten auf der Liste sind Neureiche, die hier ihr Geld mit Mädchen verbraten. Aber dieser Jia zahlt nur seinen Eintrittspreis, setzt sich dann mit einer Tasse Kaffee in eine Ecke und schaut zu. Kaum daß er einmal tanzt, ein Mädchen hat er noch nie mitgenommen. Er kommt höchstens zweimal im Monat.«
    »Warum steht er dann auf der Liste?«
    »Wir wären gar nicht auf ihn aufmerksam geworden, wenn nicht vor einigen Monaten ein Anruf von der Stadtregierung gekommen wäre. Man hat uns gebeten, etwaiges unsittliches Verhalten seinerseits unverzüglich zu melden. Aber es hat nie etwas gegeben … wir haben nicht gesehen, daß er ein Mädchen mitgenommen hätte … und wir haben wahrheitsgemäß alles berichtet. Eine merkwürdige Anfrage, aber wir sind natürlich jederzeit zur Kooperation mit den Behörden bereit.«
    Dann waren also höhere Stellen hinter diesem Jia her, um ihm etwas nachzuweisen und so die Verhandlung platzen lassen zu können. Seine Besuche hier waren vermutlich bedeutungslos; Intellektuelle hatten so ihre Macken. Selbst Oberinspektor Chen traf sich mit einem ehemaligen K-Mädel.
    Der Gedanke an seinen Partner regte Yu sofort wieder auf. Seit Mittwoch versuchte er nun ständig, ihn zu erreichen, ohne Erfolg. Gestern abend hatte Yu seinen Anruf sogar als »dringend« markiert und um sofortigen Rückruf gebeten, doch bislang keine Antwort erhalten. Heute morgen hatte er dann den Kleinen Zhou zu Chens Wohnung geschickt, aber es war niemand zu Hause gewesen.
    Wie konnte sich der Oberinspektor ausgerechnet in einer solchen Situation aus dem Staub machen?
    Yu beschloß, erneut zum Friedhof zu fahren. Nicht daß er dort noch etwas zu finden hoffte, aber bei Tageslicht würde er vielleicht einen anderen Eindruck gewinnen.
    Der Friedhof war abgesperrt. In der Ferne zeichnete sich eine erdfarbene Hütte vor der Silhouette zerklüfteter Hügel ab. Niemand schien hier Ordnung zu halten. Er ging zu dem Platz, wo die Leiche gefunden worden war, und zündete sich, gegen den eisigen Wind gewandt, eine Zigarette an. Dabei zitterte er, als müßte er den ganzen Alptraum noch einmal durchleben. Das Bild würde ihn nie wieder loslassen: Sie hatte, den Oberkörper halb im Unkraut verborgen, auf dem feuchten Boden gelegen, die Beine weit gespreizt. Die Haut hatte bereits einen bläulichen Schimmer angenommen, das schwarze Haar fiel ihr über die Wange. Sie war barfuß und trug einen qipao , der bis zur Taille aufgerissen war und den Blick auf ihre nackten Schenkel freigab …
    Eine einsame Krähe kreiste über ihm, schreiend und heimatlos im kalten Winter.
    Im Präsidium war heftig über den Fundort der Leiche spekuliert worden. Im Gegensatz zu den drei anderen Fundorten lag dieser fernab des Stadtzentrums. Parteisekretär Li vermutete, der Mörder habe ihn aufgrund des polizeilichen

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