Blutgrab
Kopfkissen gestopft hatte, um ein paar Zentimeter höher zu liegen. Das Letzte, das er jetzt gebrauchen konnte, war ein steifer Nacken. Eilig schlüpfte er in das Shirt und erhob sich. »Na los, ihr Säcke - worauf wartet ihr? Soll ich noch einen stehen lassen, bevor wir abhauen?« Bevor die anderen widersprechen konnten, blähte Grundmann noch einmal und grinste stolz.
»Was hast du gefressen, du Blödmann?«, rief Michels und wedelte sich mit der Hand vor dem Gesicht herum. »Du bist asozial. Wir können die Bude nicht lüften, und du verpestest uns.«
»Leck mich.« Grundinger war vorangegangen. Er stemmte sein Körpergewicht gegen die feuerfeste Türe und stand im nächsten Augenblick in einem Kellergang. Eine nackte Birne schleuderte den Männern ihr grelles Licht entgegen. »Wollen wir diskutieren, wer am besten furzt, oder wollen wir den toten Sack entsorgen?« Ohne sich zu Michels und Fritz umzublicken, marschierte er voran. Insgeheim war Grundinger froh, noch mal an die frische Luft zu kommen.
Michels schickte die anderen schon zum Wagen und widmete sich noch einer anderen Angelegenheit, bevor er ihnen folgte.
Wuppertal-Barmen, An der Bergbahn, 22.10 Uhr
Es war ihm ein wenig peinlich, Maja seine Wohnung zu zeigen. Dennoch war Ulbricht froh, endlich zu Hause zu sein. Und dass Maja ihn begleitete, empfand er im Grunde sogar als angenehm: Endlich einmal musste er die wenigen freien Stunden, die ihm geblieben waren, nicht alleine verbringen. Und dennoch schämte er sich, sie in sein Reich zu führen. Seit mehr als dreißig Jahren wohnte er in dem unscheinbaren Mietshaus an der steilen Straße, die ihren Namen von der elektrisch betriebenen Bergbahn hatte, die hier früher verkehrt war und die Barmer Bevölkerung hauptsächlich an den Wochenenden hinauf in die parkähnlichen Barmer Anlagen transportiert hatte. Im Jahr 1959 hatte man den Bahnbetrieb zwischen dem Clef und dem Toelleturm aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt; seitdem erinnerte nur noch der Name der Straße, in der Ulbricht lebte, an die elektrische Zahnradbahn.
Gegen einen Aufzug im Haus hätte der alte Kommissar in diesem Moment nichts einzuwenden gehabt, denn so quälte er sich - ganz Gentleman - mit Majas schwerem Hartschalenkoffer durch das Treppenhaus bis zur Wohnungstür im zweiten Stock. Oben angekommen, standen sie plötzlich im Dunkeln. Mit einem Seufzen auf den Lippen glitt Ulbrichts Hand über die Wand unterhalb des Sicherungskastens. In all den Jahren, die er hier lebte, kannte er die Stelle des Lichtschalters blind. Das Treppenhauslicht sprang mit einem lauten Knacken wieder an. Ulbricht blickte in Majas erwartungsvolles Gesicht, und ein wenig unbeholfen stellte er ihren Koffer ab und suchte umständlich in der Tasche seines Trenchcoats nach dem Wohnungsschlüssel. Er ertappte sich dabei, Zeit schinden zu wollen.
»Sesam öffne dich!«, murmelte Maja voller Neugier.
»Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht von meiner bescheidenen Bude«, erwiderte er. »So schön wie du habe ich es nämlich nicht.«
»Ach was.« Maja winkte ab. »Das Haus an der Pyrmonter Straße ist auch nichts Besonderes. Ständig dieser Verkehrslärm, immer stehst du im Stau, besonders, als man die Münsterbrücke erneuert hat.«
»Die Wohnung hast du dir aber sehr geschmackvoll eingerichtet - abgesehen davon, dass ich den Blick auf die Weser liebe«, konterte Ulbricht lächelnd.
»Nun spann mich doch nicht auf die Folter, Norbert!«
»Schon gut, hetz einen armen alten Mann doch nicht immer so.« Ulbricht fummelte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Vielleicht täuschte er sich, aber der muffige Geruch, der ihm entgegenschlug, kam ihm heute schlimmer als sonst vor. Er rümpfte die Nase, schaltete das Flurlicht an und erschrak: Seine alten Tapeten kamen ihm heute noch schäbiger als sonst vor.
»Ich sollte vielleicht mal lüften«, murmelte er und ging mit dem Rollkoffer voran. »Sieh dich bloß nicht um, ich hab nicht aufgeräumt.«
»Schon gut, schon gut.« Sie packte ihn an der Schulter und zog ihn zu sich herum. »Du musst dich nicht schämen, Norbert.«
Er schnaufte. »Das sagst du. Dann komm mal rein in meine gute Stube.«
Sie drückte die Tür ins Schloss und folgte ihm durch den schlauchförmigen Korridor. Plötzlich blieb sie stehen und pfiff durch die Zähne.
»Hey«, rief sie. »Das ist ja eine scharfe Braut!«
Ulbricht folgte ihrem Blick, der auf der großen Schwarz-Weiß-Fotografie an der Wand haftete. Auf dem Bild eine
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